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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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oder ohne Milch?«
    »Ohne, bitte«, sagte Lambert und nahm seine Teetasse entgegen.
    »Sie haben noch nicht die englischen Gepflogenheiten angenommen.«
    »Das werde ich wohl auch nie lernen«, erwiderte Lambert und trank einen Schluck.
    »Wie schmeckt er Ihnen? Ich finde diese Assam-Mischung mit einem Hauch von Rum großartig.«
    »Sehr gut«, versicherte Lambert, obwohl das Getränk seiner Meinung nach einfach nur bitter schmeckte. Um der Höflichkeit Willen nahm er trotzdem einen weiteren Schluck, in der Hoffnung, die Frau zum Sprechen zu bringen.
    »Was wollten Sie gerade über ein zweites Uranversteck sagen?«
    |458| »Welches zweite?«
    »Das Uranversteck, das Sie vorhin erwähnten.«
    »Das bilden Sie sich ein, Herr Lambert«, sagte die alte Frau, und auf einmal klang ihre Stimme nach kaltem Stahl.
    Sie wirkte plötzlich überhaupt nicht mehr senil, ganz im Gegenteil.
    »Stattdessen möchte ich hören, ob Sie meinem Sohn Erik Narva etwas angetan haben. Aber das werden Sie mir ja sicherlich nicht sagen, nicht wahr?«
    Im selben Moment spürte Lambert einen brennenden Schmerz in der Speiseröhre und in der Brust. Er rieb sich heftig den Oberkörper, aber die Schmerzen nahmen nur weiter zu. Lambert legte die Hand an den Hals, sprang auf und starrte Ingrid Stormare ungläubig und entsetzt an. Er machte einige Schritte zur Tür, dann brach er von Krämpfen geschüttelt zusammen.
     
    Aus Lamberts Mund quoll blutiger Schaum. Ingrid wandte den Blick ab, ihr Herz hämmerte zum Zerspringen.
    Kurz darauf hörte das Röcheln auf. Mit zitternden Händen stellte Ingrid Lamberts Teetasse aufs Tablett zurück und trug es in die Küche, nicht ohne einen widerwilligen Blick auf den leblosen Körper des Amerikaners geworfen zu haben.
    »Charlie, geh weg da!«, sagte sie mit schwacher Stimme, aber die Katze starrte von der Türschwelle in den Raum.
    Ingrid wusch die Tasse sorgfältig aus und stellte sie zum Abtropfen auf das Gitter. Dann nahm sie die Scherben der zerbrochenen Glasampulle aus dem Spülbecken und gab sie mit zitternden Fingern in eine kleine braune Flasche, deren gelbliches Etikett deutsch beschriftet war. Ingrid schaute in die Flasche hinein und stellte fest, dass die zweite Strychninampulle noch unversehrt darin war. Sie hatte sie mitgenommen, als sie zum letzten Mal das Institut für Eugenik in Dahlem verließ. Die Ampullen waren für sie selbst und für Rolf vorgesehen gewesen, zur Sicherheit, obwohl sie damals nicht einmal wusste, wo Rolf sich |459| aufhielt. In den USA hatte sie die Ampullen später heimlich aufbewahrt. Mehr als sechzig Jahre lang hatten sie bereitgelegen, für den Fall eines besonders schlimmen Tages. Und nun war dieser Tag gekommen.
    Ingrid nahm die Rumflasche vom Tisch und stellte sie in den Schrank zurück. Strychnin löste sich in Wasser nur schwer auf, aber in Alkohol dafür umso leichter. Sie ging durch das dunkle Haus zurück in die Bibliothek, wo Lamberts verkrümmter Leib auf dem Parkett lag. Die leblosen Augen starrten zur Decke. Ein Rinnsal blutigen Schaums lief vom offenen Mund am Ohr vorbei auf den Fußboden. Zum Glück hatte sich Charlie inzwischen davongemacht.
    Ingrid wurde übel. Der Boden unter ihren Füßen schwankte, und ihr war, als müsste sie sich jeden Moment erbrechen. Sie verachtete sich, ihre Schwäche und ihr Alter. In jungen Jahren war sie schrecklichere Anblicke gewöhnt gewesen. Wesentlich schrecklichere.
    Jetzt wäre sie am liebsten aus dem Zimmer gerannt und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen, aber sie zwang sich, zu der Leiche zu gehen. Mühsam kniete sie sich hin und schob die Hand in die Innentasche seiner Jacke. Sie spürte etwas Hartes und zog ein Plastiketui heraus. Schnell öffnete sie es und seufzte sogleich vor Erleichterung auf. Das Etui enthielt eine Spritze mit aufgezogener Flüssigkeit.
    Sie hatte also recht gehabt. Der Mann war gekommen, um sie zu töten.
    Jetzt musste sie seine Leiche so schnell wie möglich loswerden. Die CIA würde ihren Mitarbeiter bald vermissen. Ingrid packte Lambert entschlossen unter den Armen und versuchte ihn anzuheben, aber der Tote bewegte sich nur wenige Millimeter. In Ingrids Rücken und Armen dagegen breitete sich ein irrsinniger Schmerz aus.
    Ich muss es schaffen, dachte sie im Kampf gegen die Panik. Ich muss!
    Mit äußerster Anstrengung schaffte Ingrid es trotz der Schmerzen, |460| die Leiche die wenigen Meter bis zur Tür der Bibliothek zu schleppen. Dann sank sie vollkommen erschöpft in den Sessel.

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