Das Erbe des Bösen
Plexiglasscheibe vor den Augen.
In den Köpfen von Carey und seinen Kollegen kreiste unablässig dieselbe Frage: Dies war doch wohl nur eine Übung, so wie bei den letzten Malen? Immer mehr Männer und Frauen strömten ins Magazin, um ihre Ausrüstung zu holen. Das Depot von Euston war einer von vielen scharf bewachten Stützpunkten in ganz London, wo diese Ausrüstungen aufbewahrt wurden. Falls in allen Depots das Gleiche geschah wie in Euston, würden bald Tausende von Wesen durch die Innenstadt von London laufen, die aussahen wie Angreifer aus dem Weltraum.
Die Aufgabe der
Metropolitan Police
bestand darin, das Areal abzusperren, in dem es im Fall eines Anschlags zu chemischem, biologischem oder radioaktivem Niederschlag kommen würde.
Carey konnte sich gut vorstellen, welche Panik ihr Erscheinen auf den Straßen Londons auslösen würde. Wie ein Lauffeuer würden sich die Nachrichtenbilder von Personen in Schutzanzügen auf der ganzen Welt verbreiten.
Saiid packte Parviz unter den Armen und hievte ihn von seinem Platz am Steuer des Mercedes. Er setzte ihn in den weinroten Rollstuhl, den er zuvor über die Rampe aus dem Laderaum und neben das Auto gefahren hatte. Die New Row war eine kurze, stille Seitenstraße. Das Stimmengewirr der vorübergehenden Menschen brodelte in der warmen Luft.
Saiid und Parviz achteten darauf, sich außerhalb der Reichweite von Überwachungskameras zu bewegen, aber es gab auch versteckte und mit Teleobjektiven ausgerüstete, und sie durften |453| kein Risiko eingehen. Auf gar keinen Fall durften sie das Interesse der Passanten auf sich lenken.
»Die Decke«, sagte Parviz, und Saiid nahm die blaue Wolldecke vom Fahrerzsitz. Er reichte sie Parviz, der sie sich um die Beine schlang.
»Der Strom ist knapp, es wäre klüger, wenn ich dich ein Stück schieben würde«, sagte Saiid.
»Red keinen Blödsinn«, gab Parviz flüsternd zurück. »Wir können den Wagen nicht an so einer Stelle stehen lassen. Ich komme schon klar.«
Saiid wusste, dass Parviz recht hatte. Nach verdächtig geparkten Fahrzeugen wurde aus Angst vor Autobomben fast schon neurotisch Ausschau gehalten. Genau deshalb hatten sie als Versteck für den einen Sprengsatz auch den Rollstuhl gewählt, obgleich die Wirkung der Bombe aufgrund der reduzierten Größe wesentlich schwächer sein würde als die einer Autobombe.
Ohne ein weiteres Wort drückte Parviz auf den Schalter in der Armlehne, und der Rollstuhl setzte sich mit summendem Elektromotor nach Westen in Richtung Leicester Square in Bewegung.
Saiid sah Parviz kurz nach, dann stieg er in den Wagen und fädelte sich unverzüglich wieder in den Straßenverkehr ein. Am liebsten hätte er Abid angerufen, aber jede Kommunikation bedeutete jetzt ein unnötiges Risiko.
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Das Navigationsgerät, das als leuchtender Farbtupfer am Armaturenbrett angebracht war, teilte mit, dass das Fahrziel erreicht war. Craig Lambert bremste ab und fuhr im Schritttempo an Ingrid Stormares Haus vorbei.
Leise schnurrend hielt der Chevrolet kurz hinter der Einfahrt an. Lambert machte den Motor aus und seufzte. War das wirklich notwendig? Sein unmittelbarer Vorgesetzter war John Merrick, aber ob auch David Stone, der Chef der Gruppe, seine Zustimmung gegeben hatte? Stone konnte er jetzt allerdings auf keinen Fall stören, denn der versuchte gerade, den MI5 und die Führung des übrigen britischen Sicherheitsapparates in Schach zu halten. Die Operation unter den gegebenen Umständen ehrenhaft zum Abschluss zu bringen, war eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Im Grunde war es unmöglich.
So blieb ihm nur noch übrig, die Spuren zu beseitigen. Sie waren ein kleines Team, und sie mussten sich hundertprozentig aufeinander verlassen können. Jeder musste seinen Befehlen entsprechend handeln – zum Wohle der Organisation und des ganzen Landes. Merrick hatte recht: Ihre Aufgabe bestand darin, die Interessen der Vereinigten Staaten zu sichern, unter allen Umständen und in allen Situationen, und das forderte von ihm nun diesen Einsatz. Ja, es war notwendig.
Lambert stieg aus und ging entschlossen auf das Tor zu. Das Haus gefiel ihm. Es war keines von den üblichen britischen Backsteinhäusern, sondern eher ein modernes Gebäude im amerikanischen Stil. Die alte Dame hat Stil, dachte Lambert. Die englische Architektur hatte ihm noch nie gefallen. Der Anblick ihres |455| Hauses weckte in ihm die Sehnsucht nach seiner Heimat, nach den Laubwäldern von Vermont. Daran merkte er, dass er
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