Das Erbe des Bösen
sagte.
»Nichts am Tod von Rolf Narva deutet, nach Aussage der Deutschen, auf ein Verbrechen hin, aber wir gehen der Sache nach. Natürlich ist alles möglich.«
»Wissen Sie, nach dem Besuch von Mr. Stone ist zu viel passiert, als dass es ein Zufall sein könnte. Mein Mann ist nach Jahrzehnten nach Deutschland zurückgekehrt, er ist dort gestorben, und jetzt ist mein Sohn . . . Er weiß alles Mögliche. Ich |442| befürchte, dass er in Gefahr ist. Haben Sie das Uranversteck gefunden?«
Die Frage der alten Frau traf direkt den Kern der Sache. Merrick überlegte, wie er am besten reagieren sollte. Keine Antwort war auch eine Antwort.
»Ich kann über diese Dinge nicht am Telefon reden.«
»Können wir uns morgen treffen?«, schlug Frau Stormare vor.
»Selbstverständlich. Oder vielleicht besser gleich?«
»Das ist mir auch recht.«
»Gut. Mein Kollege Craig Lambert wird in Kürze bei Ihnen vorbeischauen.«
Merrick beendete das Gespräch und spürte, wie das Adrenalin in seinen Blutkreislauf einströmte. Er war wieder ganz er selbst.
»Craig«, rief er und winkte seinen Mitarbeiter zu sich. Dabei schrieb er etwas auf einen Zettel.
»Die alte Stormare hat angerufen«, flüsterte er. »Sie scheint ziemlich viel zu wissen. Vielleicht zu viel, wenn man bedenkt, was für ein schwaches Herz sie hat.«
Merrick reichte Lambert den Zettel. »Hier ist ihre Adresse. Statte ihr einen Besuch ab.«
Lambert nahm den Zettel und sah sich die Adresse an. »Bist du dir sicher?«
»Es gibt keine andere Möglichkeit. Sie gehört zu den Kronzeugen.«
Lambert nickte langsam und wandte sich ab, um zu gehen.
»Eines noch«, sagte Merrick. »Vielleicht erleichtert es dich ein bisschen, wenn du weißt, dass die alte Dame seinerzeit eine Naziwissenschaftlerin war. Hat unter Mengele Menschenversuche gemacht.«
In Lamberts Blick schimmerte ein Hauch von Überraschung. Dann drehte er sich um und verschwand zwischen den schwer ausgerüsteten britischen Polizisten.
|443| 64
Der silbergraue Mercedes Vito schwamm im Verkehrsstrom auf der Shaftesbury Avenue in West End mit.
Parviz konzentrierte sich ganz auf das Fahren, das war eine gute Methode, um die Spannung zu mildern. Am Cambridge Circus kam der Verkehr ins Stocken, und es war schwierig, nach links abzubiegen.
»Vorsicht«, rief Saiid.
Im selben Moment bemerkte auch Parviz die zwei Teenager vor sich. Er bremste erschrocken und kam gerade noch vor zwei Mädchen zum Stehen, die bei Rot über die Ampel gingen. Wütend drückte er auf die Hupe und erhielt eine Flut lautstarker Flüche als Antwort.
Die Charing Cross Road war verstopft, und auf den Gehwegen drängten sich die Menschen. Als sie sich Newport Court näherten, wurden Parviz und Saiid überrascht. Die Stelle, an der sie den Rollstuhl ausladen wollten, war mit einem Band abgesperrt, hinter dem ein kleiner Bagger und ein Zelt mit dem Logo der
British Telecom
standen.
»Und jetzt?«, fragt Saiid nervös, obwohl er sich Mühe gab, den Gelassenen zu spielen. Sie hatten noch etwas Zeit, aber jede Minute war kostbar. »An die Ersatzstelle?«
Parviz nickte fast unmerklich, setzte den Blinker und bog in die Great Newport Street in Richtung Covent Garden ein. Das Objekt – Leicester Square – war eine Fußgängerzone, und es war sinnlos, es über die direkt dorthinführenden Straßen zu versuchen, das Gleiche galt für Charing Cross nach Süden in Richtung Trafalgar Square, das hatten sie bei ihren Ortsbegehungen festgestellt. |444| Die Gegend wurde sehr genau von Überwachungskameras erfasst, und jeder Stopp wäre aufgefallen.
Die Stelle vor dem Bürogebäude in der Garrick Street, die sie als Ersatz ausgesucht hatten, war von zwei Lieferfahrzeugen blockiert.
»Und jetzt?«, fragt Saiid noch aufgeregter als zuvor.
»Ich fahre da vorne rechts in die New Row und halte am Straßenrand. Von da aus kann ich mit dem Rollstuhl näher heran.«
In der lautlosen Finsternis hingen die Gerüche von Motoröl und Frostschutzmittel. Eriks Hände waren inzwischen kalt und taub von den engen Fesseln.
Erik versuchte herauszubekommen, was um ihn herum geschah, aber er hörte nur das Rauschen seines Blutes. Er hielt den Atem an, doch die Herzschläge klangen dann nur noch stärker und schneller. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich total hilflos.
Wie leicht es diesen Männern fallen würde, ihn aus dem Kofferraum zu heben und in irgendeinen Graben zu werfen. Oder warum sollten sie sich die Mühe machen, ihn zu tragen?
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