Das Erbe des Bösen
Schritte. Sie hielt den Atem an und drückte sich hinter den Kleidern an die Wand. In ihren Ohren rauschte das Blut. Würde jemand in die Kammer kommen? Wieder griff sie nach der Schraube und zog langsam daran, wie an einem Griff. Eine Luke ging auf, aber sie war klein – zu klein, um einen Menschen durchzulassen.
Zum Glück entfernten sich die Schritte wieder, und Katja atmete auf. Trotzdem musste sie noch etwas warten, bevor sie den Ankleideraum verließ. Sie schob eine Hand in die Luke und holte einen kleinen, schweren Gegenstand hervor. Im spärlichen Licht, das durch die Kleider sickerte, betrachtete sie den Gegenstand. Es war eine alte Leica, an deren Objektiv eine Zusatzapparatur befestigt war. Katja legte die Kamera zurück und tastete nach den anderen Gegenständen in der Nische. Sie bekam ein kleines Glas zu fassen und nahm es heraus.
In dem Moment hörte sie schnelle Schritte, und gleich darauf |468| wurde die Tür zum Ankleideraum aufgerissen. Mit dem klickenden Geräusch des Schalters ging das Licht an.
Durch die Kleider hindurch blickte Katja zur Tür. Die Textilien in ihren Folien hingen ziemlich dicht nebeneinander. Katja schloss die Augen und rührte sich nicht. Der Mann würde sie nicht unbedingt sehen können. Sie hörte, wie er hier und da die Kleidungsstücke an der Stange auseinander zog. Dann hielt er inne. Vielleicht ging er in die Hocke, um unter die Kleider zu schauen. Katja blickte nach unten und sah Schuhe und Stiefel auf dem Fußboden stehen. Kurz darauf stand der Mann unmittelbar vor ihr. Es war still, als würde er überlegen, an welcher Stelle er hinter die Kleider blicken sollte.
Links, flehte Katja innerlich.
Im selbem Moment fiel ihr Blick auf das Schraubdeckelglas in ihrer Hand. Als sie sah, was sich darin befand, gab der Boden unter ihr nach: In dem Glas lagen Augen in Formalin. Nur mühsam unterdrückte sie ihren Schrei.
Abid blickte sich um. Inmitten der Halteverbotsschilder in Whitehall erhoben sich mehrere Meter hohe Schutzkonstruktionen, hinter denen sich die Residenz des Premierministers in der Downing Street befand. Neben dem schwarzen Tor war eine Drehsperre für Fußgänger installiert. Auf beiden Seiten standen Polizisten mit Maschinenpistolen vor der Brust. Zwanzig Meter hinter dem Zaun sah man die schwarz-gelbe Panzersperre aus dem Boden ragen.
Abid richtete den Blick wieder auf die Straße. Natürlich hatten sie diesen Straßenabschnitt schon in den vorläufigen Planungen verworfen. Hier konnte man nicht einmal für kurze Zeit anhalten.
Big Ben zeigte 18 Uhr 35. Abid war ungefähr im Zeitplan, vielleicht sogar einige Minuten zu früh. Ruhig fuhr er weiter, um bei einer neuen Runde die Zeit totzuschlagen.
|469| Parviz wich den Blicken der entgegenkommenden Passanten aus. Das war leicht, allein schon wegen der niedrigen Sitzhöhe des Rollstuhls. Damit die Zeit verging und um Strom zu sparen, blieb er in der kurzen Fußgängerzone St. Martin’s Court eine Weile stehen.
Eine knappe halbe Stunde noch.
Plötzlich trat jemand vor ihn hin.
»Entschuldigung, kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte eine junge Frau.
»Danke, ich warte nur auf einen Freund«, antwortete Parviz.
Jedesmal, wenn er angehalten hatte, war er ebenfalls von besorgten Passanten angesprochen worden. Was würde er tun, wenn ihn ein Polizist ansprach? Wahrscheinlich würde auch in dem Fall seine bisherige Antwort ausreichen.
Parviz fuhr ein Stück weiter, dann hielt er an, um in den Bücherkisten vor einem Antiquariat zu stöbern. Er fühlte sich äußerst unwohl auf seinem Sitz, auch wenn er wusste, dass ihm das Uranpulver noch nicht gefährlich werden konnte. Aber wenn mit dem Timer oder mit dem Zünder etwas nicht stimmte? Wenn die Explosion früher als geplant ausgelöst wurde?
Parviz wäre am liebsten aufgestanden und davongegangen, aber noch hatte er nicht die richtige Stelle erreicht. Nicht weit entfernt quoll der Leicester Square über vor Menschen. Weggehen konnte er erst in allerletzter Sekunde – ein leerer Rollstuhl hätte viel zu viel Aufmerksamkeit erregt. Parviz musste so lange sitzen bleiben, wie er sich nur traute.
|470| 67
Mit der Waffe in der Hand kam der Mann auf Ingrid zu.
»Ich frage Sie noch einmal.« Er drückte ihr die Pistole an die Schläfe. »Ist noch jemand im Haus?«
»Lass sie in Ruhe!« Eriks Aufschrei klang bemitleidenswert kläglich, aber sein Mut trieb Ingrid stolze Muttertränen in die Augen.
Der Eindringling warf einen Blick auf
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