Das Erbe des Bösen
gingen mit gezielten Schritten ins Kino, ins Musical, in Restaurants, zum Einkaufen. Nur wenige schlenderten, aßen ein Eis und sahen den anderen Menschen zu.
Parviz befürchtete, die Schaltuhr könnte um einige Minuten falsch gehen, sodass er es nicht mehr weit genug vom Rollstuhl weg schaffen würde. Verstohlen hielt er nach Kameras auf Masten und an Wänden Ausschau, aber das war schwierig zwischen all den Menschen und von so weit unten, denn er durfte sich nicht zu auffällig recken und den Hals verdrehen.
Das Verlassen des Rollstuhls war der gefährliche Moment. Sie hatten nach langer Suche an der Südwestecke des Leicester Square eine Stelle gefunden, die am ehesten im toten Winkel der Überwachungskameras lag. Aber bis dort würde der Strom in der Batterie auf keinen Fall reichen – nicht einmal bis zu der Ersatzstelle, die nur noch hundert Meter entfernt lag.
Die Mitte des Platzes wurde von einer fast kreisrunden Grünanlage eingenommen, deren Bänke allesamt besetzt waren. Parviz fuhr am Publikum vorbei, das sich im Halbkreis um einen |474| Pantomimen geschart hatte, und hielt unter dem Baum hinter einer roten Telefonzelle an. Eine Überwachungskamera war auch hier nirgendwo zu sehen, aber vermutlich befand er sich dennoch im Gesichtsfeld eines Objektivs. Trotzdem musste diese Stelle gut genug sein. Die Menschen strömten in zwanzig Metern Entfernung an Parviz vorbei, und niemand schenkte ihm Beachtung.
Entschlossen schlug er die Wolldecke zur Seite, stand schwerfällig auf, zog einen Zettel aus der Tasche und legte ihn auf den Rollstuhlsitz: DEFEKT. WIRD ABGEHOLT.
Es fiel ihm nicht leicht, so zu gehen, dass es hinkend und mühsam aussah, er zugleich aber schnell genug vorankam.
Katja zitterte noch immer nach dem Schreck, den der Schuss ihr eingejagt hatte – und das Schraubglas in ihrer Hand.
Der Mann hatte den Kleiderraum verlassen, ohne sie entdeckt zu haben. Kurz darauf war der Schuss gefallen. Hatten sie Ingrid erschossen? Oder Erik?
Katja schlich zur Kammertürr, machte sie vorsichtig auf und trat ins Schlafzimmer.
Sogleich spürte sie, dass hier etwas vor sich ging. Hatten die Männer das Haus verlassen? Die Angst lähmte Katja so sehr, dass ihr Gehirn den Geruch, den sie wahrnahm, nicht auf Anhieb deuten konnte. Erst nach und nach begriff sie . . .
Rauch.
Rasch ging Katja zur Schlafzimmertür und öffnete sie behutsam einen Spaltbreit. Sofort schlug ihr starker Brandgeruch entgegen.
Sie hatten tatsächlich das Haus angezündet!
Katja spähte in den Gang und sah an dessen Ende bereits lodernde Flammen. Sie rannte zum Wohnzimmer, und blieb an der Tür stehen.
Die Vorhänge und ein Teil der Möbel hatten bereits Feuer gefangen. Das Feuer hatte Wände und Decke erfasst, eine dichte Rauchwolke hing im Raum. Darunterr, mitten im Zimmer, lag der |475| CI A-Mann . Aber er war nicht allein. Neben ihm lagen Ingrid und Erik. Waren sie – tot?
Ohne sich um die Hitze zu kümmern, stürzte Katja zu Erik, packte ihn unter den Armen und zerrte ihn in die Eingangshalle, wobei sie innerlich flehte, er möge nur bewusstlos sein. Nachdem sie Erik bis zur Haustür gezogen hatte, rannte sie ins Wohnzimmer zurück, schnappte sich auf dem Weg ihre Jacke mit dem Handy und umfasste Ingrid, die im Vergleich zu Erik leicht war wie ein Kind. Katja betete, dass sie noch lebten. Kaum hatte sie auch Ingrid bis an die Tür geschafft, sah sie das Wohnzimmer in wirbelwindartigen Flammen auflodern. Voller Entsetzen drückte sie die Klinke der Haustür, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
Katja beugte sich über Ingrid und tastete in deren Taschen nach dem Schlüssel, aber er war fort, natürlich! Die Männer hatten ja abgeschlossen. Das Feuer breitete sich in Windeseile aus. Die Hitze brannte bereits auf Katjas Haut, und der Rauch stieg ihr in die Lungen, dass sie husten musste. Auf keinen Fall würde sie es durch die Flammen zur Hintertür in der Küche schaffen, geschweige denn, dass sie Erik und Ingrid dorthin zerren könnte. Und das Fenster neben der Haustür war zu schmal.
Panisch nach Luft schnappend packte sie Erik und Ingrid und zerrte sie unter äußerster Kraftanstrengung die zehn Meter zum Esszimmer. Hustend nahm sie dort die ägyptische Vase in die Hand, hob sie hoch über den Kopf und schleuderte sie durch das Panoramafensterr. Noch während die Glasscherben klirrend auf den Boden fielen, schlugen die Flammen – vom Sauerstoff genährt – blitzartig höher, und das Feuer schien zu
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