Das Erbe des Bösen
verschafft und war dann von Erik überrascht worden? Nur ein Foto war von der Wand genommen worden, das Foto, auf dem sein Vater vor einer riesigen Saturn V-Trägerrakete stand. Warum, um Himmels willen?
Erik musste sich zwingen, Ruhe zu bewahren. Im Arbeitszimmer ging er in die Hocke und sah die Papiere durch, die neben dem Schreibtisch lagen. Es waren dieselben Briefbündel und Unterlagen, die vor einer Stunde noch in den Schubladen gelegen hatten. Auch die Briefe von Herman King und Katharina Kleve waren darunterr. Noch einmal las er den Brief von King, jetzt in dem Bewusstsein, dass er mit den Skandalen zu tun hatte, mit denen sich Lockheed die Finger schmutzig gemacht hatte. War sein Vater daran in irgendeiner Form beteiligt gewesen?
Erik suchte aus dem Durcheinander das alte, in Leinen gebundene Fotoalbum heraus, dessentwegen er erneut in die Wohnung gekommen war. Die Bilder darin versetzten ihn zurück ins sonnige Florida, in die Sechzigerjahre, in die Zeit vor Lockheed: er und seine Mutter im Naturschutzgebiet Merritt Island, auf Knien vor irgendeinem zoologischen Wunder, er und sein Vater mit zwei von dessen Kollegen, wie sie in einer hell erleuchteten Halle vor dem Rumpf einer Mondlandefähre posierten.
Ein Teil der grauen Pappseiten war voller Fotos, auf anderen Seiten war nur noch der getrocknete Klebstoff an den Stellen zu sehen, wo Fotos herausgenommen worden waren. Diese Aufnahmen befanden sich jetzt in den Alben seiner Mutter. Aus welchem Grund die Fotos nach der Scheidung wohl aufgeteilt worden |58| waren? Es war eine bittere Scheidung gewesen, deren Grund Erik noch immer nicht kannte. Er hatte als junger Mann oft versucht, über das Thema zu sprechen, aber irgendwann hatte er aufgehört, seine Eltern danach zu fragen. Sowohl für seinen Vater als auch für seine Mutter schien das Ganze noch immer ein äußerst wunder Punkt zu sein.
Erik nahm ein noch älteres Album zur Hand. Er schlug es auf und sah Bilder, auf denen Dutzende von Konstrukteuren an schrägen Zeichentischen standen. Nun betrachtete er diese Aufnahmen mit ganz neuen Augen. Was hatte ihm sein Vater von den Studienjahren in Michigan erzählt? Sehr wenig. Praktisch nichts. Wesentlich mehr hatte er von seiner Gymnasialzeit in Helsinki in den Dreißigerjahren erzählt. Die ältesten Bilder schienen von Anfang der Fünfzigerjahre zu stammen, schätzte Erik. Andere Alben waren nirgendwo zu finden, und er konnte sich auch nicht erinnern, je welche zu Gesicht bekommen zu haben. Nur aus Vaters Kindheit im Helsinki der Zwanziger- und Dreißigerjahre gab es einzelne, wenige Fotos. Die Familie lebte damals in einer geräumigen Wohnung im Stadtteil Töölö.
Erik sah auf die Uhr. Seit dem Anruf bei der Notrufzentrale waren erst zwei Minuten vergangen, obwohl ihm die Zeit wesentlich länger vorkam.
Er ging dazu über, in einem Haufen Bücher zu graben – Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er las die Schrift auf den Buchrücken und suchte unwillkürlich nach deutschen Titeln. Aber er fand nur Englisch und Finnisch, wie es zu erwarten gewesen war. Der Rücken eines Buches war mit Klebeband verstärkt worden, sodass man die Aufschrift nicht lesen konnte. Auf dem Umschlag stand: H. G. Wells, ›The World Set Free‹. Das Klebeband sah überraschend neu aus, und Erik schlug das Buch neugierig auf. Er erschrak, als er am oberen rechten Rand des vergilbten Titelblatts einen mit Tinte geschriebenen Namen sah:
Hans P
. . . Der Nachnahme war schwer zu entziffern. Plägger oder so ähnlich.
Auf jeden Fall handelte es sich um einen ziemlich deutsch |59| klingenden Namen, sodass Erik gleich mit noch größerer Aufmerksamkeit weiter suchte. Bei den meisten Büchern handelte es sich um englischsprachige Forschungsliteratur – Physik und Weltraumforschung –, darunter zahlreiche Bildbände zum Apollo-Programm. Deutsche Bücher waren nach wie vor nirgendwo zu sehen.
Ein Werk schien ganz neu zu sein. Erik sah es sich genauer an, es stammte aus dem Januar 2007 und trug den Titel: ›Return to the Moon. Exploration, Enterprise and Energy in the Human Settlement of Space‹.
Rückkehr zum Mond . . . Eriks Vater hatte schon immer zur Nostalgie geneigt, und es war kein Wunder, dass er die Apollo-Jahre noch immer stark in Erinnerung hatte. Der Autor des Buches war Harrison H. »Jack« Schmitt, der letzte Astronaut, der auf dem Mond gewesen war, hieß es auf dem Buchumschlag.
Das löste in Erik eine Ahnung aus. Und tatsächlich,
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