Das Erbe des Bösen
Plastikspielzeug, das sie in ihren Überraschungseiern gefunden hatten.
Erik hatte Katja kurz von dem Eindringling in der Wohnung seines Vaters und vom Erscheinen der Polizei erzählt. Die Beamten hatten sich absolut korrekt verhalten und die Situation tatsächlich für ungewöhnlich gehalten. Aber sie sahen auch Schwierigkeiten für die Ermittlungen. Sie hatten eine Anzeige aufgenommen, und Erik hatte ihnen gegenüber das eventuelle Verschwinden seines Vaters in Berlin erwähnt. Das jedoch war ein Fall für die deutsche Polizei.
»Du meinst, der Einbruch könnte etwas mit Rolfs Verschwinden zu tun haben?«, fragte Katja.
»Das scheint mir praktisch unmöglich zu sein. Am besten vergessen wir den Einbruch jetzt und lassen die Polizei ihre Arbeit machen. Bitte sag Mutter nichts davon. Aber bring ihr gegenüber doch mal Vaters Deutschlandkontakte zur Sprache und schau, wie sie reagiert.«
»Ingrids Reaktionen sagen überhaupt nichts, das weißt du selbst.«
»Versuch es doch wenigstens mal. Am Telefon geht das jedenfalls erst recht nicht.«
Erik hätte gern selbst persönlich mit seiner Mutter gesprochen, aber dafür war jetzt keine Zeit. Und Katja hatte einen guten Instinkt, was Menschen betraf, sie war in der Beziehung wesentlich sensibler als er. Das hatte sich schon häufig gezeigt, zum Beispiel, |66| wenn neue Mitarbeiter für die Firma eingestellt worden waren.
Katja sah Erik ernst an. »Worum kann es sich bei Rolfs Deutschlandvergangenheit gehandelt haben? Hat dieser Kohonen eine Vermutung?«
»Er sprach von einer Operation, bei der deutsche Wissenschaftler nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika gebracht wurden. Unter ihnen waren viele Raketen- und Luftfahrtspezialisten.« Katja kommentierte das nicht, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, was sie dachte. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Armee, NASA und Lockheed passte gut in dieses Bild.
»Aber es hat keinen Wert, Vermutungen anzustellen«, fuhr Erik unwirscher fort als beabsichtigt. »Wir sollten uns auf die Fakten konzentrieren.«
Warum reizte ihn Katjas Gesichtsausdruck so? Schließlich hatte er selbst doch das Gleiche gedacht.
Er sah auf die Uhr, stand auf und zwang sich zu einem Lächeln, als er die Kinder umarmte.
»Wann kommst du nach Hause?«, fragte Olivia demonstrativ mürrisch.
»Bald, versprochen. Denk daran, der Birke Wasser zu geben.«
Olivia hatte eine junge Birke mit Wurzeln ausgegraben und in einer Plastiktüte verpackt. Die wollte sie daheim in Surrey einpflanzen, weil dort keine Birken wuchsen. Bäume pflanzen war gut gegen den Treibhauseffekt, hatte Olivia von ihrer Großmutter gelernt.
»Die wächst da doch gar nicht«, schnaubte Emil, eifersüchtig auf die Idee seiner Schwester.
»Und ob die da wächst«, fuhr Olivia ihn an.
»Hört doch auf, die Mama findet das auch nicht so toll, wenn ihr euch ewig zankt«, sagte Erik und umarmte Katja.
»Papa«, sagte Olivia und zupfte Erik am Ärmel. »Wie groß ist eigentlich die Kohlendioxydspur, die wir bei diesem Flug hinterlassen?«
|67| Die Lage war eindeutig.
Ein einziger Satz und ein Foto hatten Rolf begreifen lassen, dass er gar keine Wahl hatte. Auf keinen Fall würde er die Gesundheit von Olivia und Emil gefährden. Um eine Katastrophe zu verhindern, musste man später Mittel finden, in dieser Phase gab es keine Alternative.
Hoffmann verließ den Raum, nachdem er Rolf befohlen hatte, sich zu erinnern: an Dinge, die zu vergessen Rolf Jahrzehnte gekostet hatte. Jetzt musste er sie sich ins Gedächtnis zurückrufen, so schmerzhaft es auch war, aber er hatte einfach keine Wahl.
Das angereicherte Uran.
Wie viele Emotionen sich in seinen Gedanken um diesen klinischen, technischen Begriff kristallisierten. U-235. Ein winziges Körnchen, in dem sich die unheimlichsten und die glücklichsten Jahre seines Lebens verdichteten.
Vorsichtig ließ Rolf vor seinem inneren Auge ein Erinnerungsbild aufleuchten. In der nagelneuen Bibliothek des Instituts für Physik fiel schräg das Sonnenlicht auf die lesenden Studenten an ihren Tischen. Rolf las in ›Die Naturwissenschaften‹ vom 6. Januar 1939 einen Artikel, in dem über die Kernspaltung berichtet wurde, die Otto Hahn und Fritz Strassmann im Dezember des Vorjahres entdeckt hatten. Es war eine Sensation, die weltweit in allen Physikerkreisen Begeisterung auslöste.
Aber was Rolfs Emotionen in der Bibliothek aufwühlte, war nicht das gelungene Experiment, sondern die Tatsache, dass er dessen Einzelheiten schon vor dem
Weitere Kostenlose Bücher