Das Erbe des Bösen
weiter, bis sie auf eine Art Zeugnis stieß. Das vergilbte Blatt war maschinengeschrieben und mit dem Adlerstempel Nazideutschlands versehen. Ort und Datum: »Berlin, 2. Oktober 1943.«
Katja starrte auf das Blatt Papier. »Ingrid Frederika Stormares Dissertation im Fach Eugenik ist somit angenommen . . .«
Dissertation hieß Doktorarbeit. Und Eugenik bedeutete so viel wie »Rassenhygiene«. So weit reichte Katjas Deutsch noch.
Ingrid hatte in Deutschland eine Doktorarbeit zum Thema »Rassenhygiene« geschrieben.
Entsetzt stopfte Katja die Unterlagen wieder in das Kuvert. Alles andere, aber nicht »Rassenhygiene«, dachte sie unweigerlich. Für Erik wäre das der perfekte Schlag vor den Kopf.
Hektisch schloss Katja das Geheimfach und stellte die Bücher wieder an ihren Platz. Sie nahm die Mappen und Kuverts an sich und vergewisserte sich noch einmal, dass nichts auf dem Boden oder auf dem Tisch liegengeblieben war. Dann löschte sie das Licht und verließ das Haus eilig und auf demselben Weg, den sie gekommen war.
Im Auto rief sie sofort Erik an, der schon ungeduldig gewartet hatte.
»Hat es geklappt?«, fragte er. »Ist alles okay?«
»Ja«, antwortete Katja außer Atem und startete den Wagen.
»Hast du das Fach gefunden?«
»Das habe ich. Nicht genau an der Stelle, die du genannt hast, aber trotzdem.«
»War etwas drin?«
»Nur alte Mappen und Kuverts. Du kannst sie dir selbst ansehen, wenn du hier bist.«
»Du wirst dir doch etwas davon angeschaut haben?«
Die Antwort fiel Katja schwer: »Ach, Erik . . . Lass sie uns später in Ruhe durchsehen. Aber für mich sieht es jedenfalls so aus, |239| als hätte Ingrids wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland begonnen. Sie hat dort promoviert.«
»Promoviert? Worüber?« Erik klang erschrocken und außer sich.
»Mein Deutsch reicht nicht für wissenschaftliche Themen«, wich Katja aus. »Wir sehen es uns an, wenn du kommst . . .«
»Sag mir einfach, was du gesehen hast!«
Katja seufzte schwer. »So wie ich es verstehe, hat sie in Eugenik promoviert.«
Am anderen Ende der Leitung war es still.
»Erik, komm zurück, wir sehen uns das gemeinsam an. Ich muss jetzt schnell nach Hause, bevor Ingrid misstrauisch wird. Wir haben die Unterlagen, das ist die Hauptsache.«
Erik schwieg noch immer.
»Erik, sag doch etwas!«
»Ich . . . ich weiß nicht, was . . .«
Er brachte kein Wort mehr heraus. Es wunderte Katja nicht, dass er vollkommen aus der Fassung war. Vor dem Hintergrund seiner eigenen wissenschaftlichen Laufbahn hätte kein anderes Forschungsgebiet ihn mehr schockieren können als die Eugenik.
Der Regen hatte gegen Abend zugenommen, die Tropfen zerliefen zu Streifen auf den Fenstern des einsamen, verlassen wirkenden Hauses in Bardenitz.
Geschützt durch blickdichte Vorhänge, standen vier Männer um einen Tisch herum und konzentrierten sich auf eine technische Zeichnung. Von ihrem Aussehen und ihrem Auftreten her passten die Männer kein bisschen in das heruntergekommene Gebäude. Malek trug nach dem Flug von Helsinki nach Berlin noch immer die Hose mit Bügelfalten und die schenkellange Baumwolljacke.
Rashid, in Hemd und Cordhosen, befand sich bei den Zeichnungen auf vertrautem Terrain, und das spiegelte sich in seiner ganzen Haltung wider. Er war Ingenieur von Beruf und bei einem Feinmechanikbetrieb in Leipzig angestellt. Seine langen, |240| schmalen Finger schienen einem Pianisten zu gehören, aber Rashid hatte mit ihnen ganz andere Dinge geübt.
Saiid war der Jüngste und mit seinen Jeans, den modischen Nike-Turnschuhen und seinem T-Shirt auch äußerlich der Jugendlichste in der Gruppe. Er war Programmierer bei einer Berliner ED V-Firma und Fachmann für Datentransfer in der zweiten Generation. Sein Vater war kurz vor dem Sturz des Schahs von Teheran nach Mannheim gekommen.
Utabar stand ein klein wenig abseits, denn das Studium von technischen Zeichnungen war nicht sein Spezialgebiet.
Es sah aus, als würde eine Gruppe von Technologiefachleuten sich an einem normalen Arbeitstag in die Skizzen ihres neuesten Projekts vertiefen.
»Einundfünfzig Zentimeter sind das Minimum«, sagte Rashid. »Wenn sie in fünfzig passen würde, hätte ich es so eingezeichnet.«
Malek seufzte.
»Dann legen wir sie in ein anderes Fahrzeug«, sagte Saiid.
»Nein«, fuhr Malek auf und breitete eine Papierrolle aus, auf der eine computergefertigte Zeichnung eines PK W-Kofferraums mitsamt den genauen Maßen zu sehen war. »Wir können die Position von
Weitere Kostenlose Bücher