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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatten schmerzhafte Entzündungen hervorgerufen und zur Erblindung geführt. Nachdem die Tests gemacht worden waren, hatte man die Kinder nicht mehr gebraucht und in die Gaskammer gebracht. Augen und Blutproben wurden anschließend dem Institut für Erbforschung zugeführt. Unter von Verschuers Leitung hatte man am Institut versucht, eine Rassenbestimmung zu entwickeln, die auf den Proteinanteilen im Blut beruhte, und dafür große Mengen an Blut benötigt.
    Dass ihr Vater Anders nach dem Krieg den Kontakt zu Mengele aufrechterhalten hatte, war Ingrid unangenehm und auch unbedacht erschienen. Wäre es nach ihr gegangen, hätten sich die Israelis Mengele schnappen können, so wie sie Adolf Eichmann geschnappt hatten, denn wenn jemand schlicht und einfach ein böser, grausamer und gefühlloser Mensch war, schlimmer als jeder deutsche oder einer anderen Nation angehörige Nazi, den Ingrid kannte, dann Mengele.
    Als sie tief genug gegraben hatte, legte sie den Sack in die Grube. Durch das Plastik hindurch spürte sie die Form der Festplatte, und sie drehte sie richtig herum, obwohl das laut Carl keine Bedeutung hatte. Carl Möller hatte ihr die Festplatte mit leichtem Zögern zur Aufbewahrung gegeben, und allein deshalb wollte Ingrid vorsichtig sein.
    Im Nachhinein war es für Ingrid ein Schock gewesen zu lesen, wie eng die Zusammenarbeit zwischen dem Institutsleiter von Verschuer und Mengele gewesen war. Von Verschuer war sich der Vorgehensweise Mengeles in dem auf Zwillinge spezialisierten Unterlager in Auschwitz bewusst. Ingrid akzeptierte es, die Organe von Toten für wissenschaftliche Experimente zu benutzen, aber sie akzeptierte nicht, dass Menschen für die Wissenschaft umgebracht wurden.
    |258| Auch die Amerikaner waren über das Vorgehen einiger Naziärzte schockiert gewesen. In Nürnberg hatte man entsetzliche Zeugenaussagen zu hören bekommen, als die Opfer von Ärzten, denen jedwede Moral und jede Menschlichkeit abhanden gekommen waren, über ihre Erfahrungen berichtetet hatten.
    Damals war es leicht gewesen, zu vergessen, dass die Lehre von der »Rassenveredelung« ihren Anfang zu Beginn des 20.   Jahrhunderts in den USA genommen hatte. Dort war ein Programm ins Leben gerufen worden, dessen Ziel darin bestand, die »schwächste Substanz« der Gesellschaft zu sterilisieren und so der menschlichen Rasse die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Der Sozialdarwinismus fasste Fuß, und ein Bundesstaat nach dem anderen schuf eine Gesetzgebung, die Zwangssterilisation ermöglichte. Zwischen 1910 und 1920 boten Dutzende angesehene Universitäten Lehrveranstaltungen zur Eugenik an. Dieses Denken breitete sich rasch auch bis Nordeuropa aus, besonders in Schweden stieß es auf großes Interesse. Das erste staatliche Institut für Rassenbiologie der Welt wurde 1922 im schwedischen Uppsala gegründet. Auch Ingrids Vater hatte die Gründung unterstützt. Das schwedische Sterilisationsgesetz trat 1934 in Kraft. Im selben Jahr begann man in Norwegen mit Zwangssterilisationen.
    Hitler hatte die Rassenpolitik der USA öffentlich gelobt. Aus den Vereinigten Staaten, genauer gesagt von der dortigen
Rockefeller-Stiftung
, hatten fast alle von Ingrids älteren Kollegen und Vorgesetzten in den Zwanziger- und Dreißigerjahren die Finanzierung für ihre Eugenik-Studien erhalten. In der US-amerikani schen Zeitschrift ›Eugenical News‹ wiederum wurde das Rassenprogramm Deutschlands bewundert und verteidigt. Außerdem fragte man sich, warum die Deutschen es, im Gegensatz zu den Amerikanern, so effektiv in die Praxis umsetzen konnten. Auch Ingrid hatte die Zeitschrift gelesen, in der ihr Vorgesetzter, von Verschuer, geradezu vergöttert wurde.
    In den Dreißigerjahren hatte die
Rockefeller-Stiftung
sowohl das Institut für Eugenik in Dahlem als auch die Psychiatrie in Berlin-Buch mitfinanziert. Verantwortlich für die Vorhaben bei |259| der
Rockefeller-Stiftung
war der Psychiater Ernst Rüdin, dem wiederum von Verschuer und andere behilflich waren. Rüdin stand damals einer globalen Eugenik-Organisation vor, zu deren Programm das Töten oder Sterilisieren von Menschen gehörte, deren erbliche Eigenschaften sie in den Augen der damaligen Wissenschaft zu einer Belastung der Gesellschaft machten und die menschliche Rasse schwächten.
    Als Hitler 1933 die Macht ergriff, wurde der von Rockefeller unterstützte Rüdin zum Architekten des Rassenprogramms des Naziregimes. Ingrid hatte sich immer gewundert, wie wenig nach dem Krieg die

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