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Das Erbe des Greifen

Titel: Das Erbe des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl A. DeWitt
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nur kurz und setzte dann ihren Gebetsgesang fort. Ihre klare Stimme erfüllte den alten Tempel und erreichte auch Delos und seine Männer, die vorsichtig näher gekommen waren und nun andächtig vor den Tempelstufen knieten.
    Der letzte klare Ton aus Elyras Kehle verhallte, einen langen Moment schien er noch in der Luft zu liegen, dann war Stille.
    »Astrak«, sagte die junge Priesterin leise, aber unverkennbar erzürnt. »Wenn du mich noch einmal im Betgesang unterbrichst …«
    »Ich habe auf einem Toten gekniet«, protestierte der Gescholtene und zeigte auf die Kochen zu seinen Füßen. »Da muss man sich doch erschrecken!«
    »Nun gut«, sagte Elyra, »es sei dir verziehen.« Sie musterte den Toten. »Er hält ein Schwert in der Hand … und dieser Kerl hier einen großen Dolch … und beide tragen eine Rüstung!«
    »Priester waren sie bestimmt nicht«, stellte Astrak fest. Er sah zu Lenise hinüber, die immer noch kniete, das Gesicht zur Statue der Göttin gewandt. »Es scheint, als ob Eure Legenden wahr wären. Der Tempel wurde auch den Mördern zum Grab.«
    »Nicht allen«, entgegnete die junge Frau. »Einer konnte entkommen, bevor das Tor sich schloss … Aber welches Wunder macht, dass ich Sie sehen kann?«, flüsterte sie dann.
    Astrak sah erneut zur Statue der Göttin hinüber. Ihre Augen waren wieder geschlossen, doch noch immer schien ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen zu liegen.
    »Die Statue selbst ist ein Wunder«, stellte Astrak fest. »Ich kenne den Glanz dieses Metalls, es ist Quecksilber … unmöglich, daraus eine Statue zu erschaffen, denn es fließt wie Wasser. Es muss Magie sein, die ihr die Form verleiht. Vielleicht ist es das, was Ihr seht, vielleicht seht Ihr diese Magie.«
    »Es ist wohl eher göttlicher Wille, Astrak«, entgegnete Elyra ernst. »Mistral will, dass wir Sie so sehen.«
    »Und was unterscheidet Ihren Willen von Magie?«, erkundigte sich Astrak, und Elyra seufzte.
    »Irgendwann werde ich Ihre Schriften studiert haben und mehr von Ihrer Weisheit wissen. Dann werde ich es dir erklären.« Sie wischte sich mit der Hand die Tränen aus den Augen und sah sich im Eingangsbereich um. Als sie ein Bündel zusammengefallener Knochen erblickte, gehüllt in die gelbe Robe der Priesterschülerinnen, schluckte sie heftig. Das Skelett war so klein und zierlich, dass es nur von einem jungen Mädchen stammen konnte, kaum mehr als zehn Jahre alt.
    Astrak folgte ihrem Blick und sah dann wieder zu den schwer bewaffneten Skeletten zu ihren Füßen. Sie steckten in prächtigen, gut erhaltenen Rüstungen, ähnlich denen, die die Hüter trugen.
    Er hoffte nur, dass sie sich, anders als die Hüter damals, niemals wieder erheben würden. Er stutzte, als er ein Symbol auf den Brustpanzern der Toten erkannte, einen Greifen mit einer Krone darüber.
    »Das waren offenbar Soldaten der königlichen Garde«, stellte er verwundert fest. Vorsichtig traten er und Elyra näher heran, während Lenise noch zögerte. Astrak kniete sich neben einen der Toten und schob mit seinen Fingern behutsam ein paar braune Knochen und einen Dolch zur Seite. Eingeritzt in den Stein, der darunter sichtbar wurde, standen zwei Worte.
    »Vergebt uns«, las Elyra leise vor.
    »Das fällt einem nicht leicht«, sagte Astrak mit belegter Stimme, als er die anderen Skelette musterte, die hier im Vorraum des Tempels lagen. Die allermeisten von ihnen waren in Roben gehüllt, ähnlich derjenigen, die Elyra nun trug, nur dass sie nicht weiß waren, sondern von einem hellen Gelb. Ähnlich wie die Rüstungen waren auch die Roben gut erhalten, und die rostroten dunklen Flecke darauf waren ebenso zu erkennen wie die Risse im Stoff. Astrak war kein Fährtenleser wie Garret, aber auch für ihn lag auf der Hand, was einst hier geschehen war.
    »Sie müssen mit gezogenen Schwertern hereingestürmt sein«, folgerte er, während er einen zierlichen Schädel studierte, der ein Stück entfernt von ihm am Boden lag und die Spuren eines tödlichen Schlags trug. »Sie fingen sofort an zu morden … diese Frau dort liegt mit dem Gesicht zu uns, sie rannte nicht einmal weg, die anderen, hier und hier, wurden von hinten erschlagen, wahrscheinlich, als sie versuchten, ins Innere des Tempel zu fliehen.«
    »Dies hier«, meinte er dann und wies auf ein weiteres Skelett, das Reste von der einfachen Kleidung eines Bauern trug und über einem anderen, kleineren Skelett lag. »Dies hier war keine Priesterin, sondern ein Gläubiger, der hergekommen war, um zu

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