Das Erbe des Greifen
Hafenmeister.«
»Fein«, meinte Garret freundlich, während er in seinen Beutel griff. »Eigentlich suchen wir eine Passage für eine Person nach Evenbrok. Aber darf ich fragen, was hier soeben geschehen ist? Ich sah diesen gemeinen Schlag, aber nichts, das ihn hätte rechtfertigen können!«
»Selbst mit den Augen eines Adlers hättet Ihr nichts entdecken können«, antwortete der Hafenmeister verärgert und tupfte sich mit einem Tuch den blutigen Mundwinkel ab, während er mit der Zunge die Reihen seiner Zähne entlangfuhr. »Offenbar gab ich dem ehrenwerten Priester eine Antwort, die ihm nicht gefiel«, fuhr er mit von Ironie triefender Stimme fort. »Was Euer Anliegen betrifft, so muss ich Euch enttäuschen. Zurzeit liegt kein Schiff im Hafen, das die Elfenlande anläuft. Allerdings erwarten wir seit Tagen die Ankunft der ›Samtschwalbe‹. Wenn sie heute Nacht oder morgen früh einläuft, könntet Ihr Glück haben. Sie steuert auf jeder zweiten Reise Evenbrok an … und ich glaube, diesmal wäre es wieder so weit. Nur …« Er zuckte die Schultern. »Möglicherweise darf sie nicht einlaufen.«
»Und warum nicht?«, fragte Vanessa.
»Wie mir der Priester soeben eröffnet hat, darf bis auf Weiteres kein Schiff mehr den Hafen ansteuern oder ihn verlassen, sofern es nicht von einem Priester Darkoths … gesegnet wurde. Einige der Seeleute auf der ›Samtschwalbe‹ sind Elfen. Sie werden darüber nicht erfreut sein.«
»Die Priester suchen nur einen Vorwand, um die Schiffe zu durchsuchen«, stellte Garret fest und musterte neugierig den hageren Mann, der schweigend neben dem Hafenmeister stand. Noch immer erinnerte er Garret an seinen Großvater. Er besaß dieselbe ruhige Würde und ähnlich wache Augen. Seine Hände waren trotz des Alters noch kräftig und zudem von vielen Narben gezeichnet. Unter seinem langen Mantel aus grob gewebtem braunen Leinen trug er ein Paar Stiefel, die sorgsam gearbeitet und gepflegt waren. Ein kostbares Schuhwerk für einen Mann, der sonst so einfach gekleidet war.
»Damit habt Ihr wohl Recht«, meinte der Hafenmeister und verzog das Gesicht, als sich seine schmerzende Wange meldete.
»Wer sind die Priester denn, dass sie so etwas fordern dürfen?«, fragte Garret unschuldig.
»Die Diener Darkoths«, antwortete Frese und spuckte verächtlich auf den Boden. »In Thyrmantor mag er ein bedeutender Gott sein, aber hier gibt ihnen das keine Rechte.«
»Sie verhalten sich aber ganz so. Warum lasst Ihr sie gewähren?«, fragte Garret.
»Darf ich fragen, wer Ihr eigentlich seid?«, entgegnete der ältere Mann, dessen Blick nun seinerseits auf Garrets Stiefeln ruhte.
»Mein Name ist Garret und dies hier ist Vanessa, meine Anvertraute«, antwortete Garret höflich und verbeugte sich leicht. Vanessa sah ihn etwas verwundert an und folgte dann seinem Beispiel. »Wir sind fremd in der Stadt.«
»Mein Name ist Waldor«, stellte sich der ältere Mann mit einem Lächeln vor. »Frese und ich sind alte Freunde. Etwas sagt mir, dass Ihr auf den Segen Darkoths wenig gebt.«
»Das ist wahr, Ser«, antwortete Garret. »Aber wir suchen die Passage nicht für uns, sondern für einen Bekannten.« Er schüttelte den Kopf. »Wir sind das erste Mal in Berendall. Gehört haben wir schon viel von Eurer Stadt, doch was wir hier mitbekommen, befremdet uns ein wenig.« Er nickte vielsagend in Richtung der Taverne, in der der Priester und die vier Soldaten vor einer Weile verschwunden waren.
»Es wirft wahrlich kein gutes Licht auf Berendall«, bekannte Waldor mit gefurchter Stirn.
»Ich verstehe es einfach nicht«, schob Garret nach und bot dem Mann und Frese einen Apfel an. Der Hafenmeister wies auf seine blutende Lippe und schüttelte mit dem Kopf, aber Waldor nahm dankend an.
»Was versteht Ihr nicht?«, fragte er.
Garret fischte den letzten Apfel aus seinem Gewand und biss hinein.
»Die Mauern Berendalls mögen alt sein, doch noch immer sind sie dick und fest. Dieser Graf Lindor befehligt zwar ein Regiment, aber es lagert vor der Stadt. Und wenn Graf Torwald auch nur über ein paar Hundert Stadtwachen verfügt, so scheinen diese doch gut gerüstet und ausgebildet zu sein. Warum also lässt er sich die Behandlung durch die Priester gefallen?«
»Weil ein Krieg nicht nur vor den Mauern Berendalls stattfinden würde«, antwortete Waldor. »Die Königlichen würden auch das Umland verwüsten. Und dieser Lindor besitzt einen Drachen. Der könnte die Stadt beim ersten Angriff in Brand
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