Das Erbe des Greifen
ihm, dass er aus Lytar kommt und der Meinung ist, die Greifenlande müssten tätig werden, um die Stadt vor den Ansprüchen Thyrmantors zu bewahren. Er ruft mehr oder weniger offen zum Aufstand gegen Belior auf!«
»Das war wahrlich unüberlegt«, pflichtete die Bardin ihm bei und warf einen schnellen Blick zur Theke. »Es gibt hier bestimmt Spitzel, und wer sagt uns, dass der Wirt nicht selbst einer ist?«
»Niemand«, bekräftigte Tarlon und seufzte dann. »Aber wider alle Erwartung ist dieser Wirt Feuer und Flamme für die Idee und fragt sich bloß noch, warum er nicht selbst erkannte, dass nur ein Aufstand etwas ändern wird. Dort steht er nun und putzt seine Theke und geht im Geist bereits die Leute durch, die er zusammenrufen will, um sich mit ihnen zu beraten.«
»Aber dass es so kommen würde, hat Garret unmöglich wissen können.«
»Eben«, sagte Tarlon. »Das ist das Problem mit ihm. Vernunftmäßig war es falsch, dem Wirt auf die Nase zu binden, woher wir kommen. Aber Garret fühlte, dass es richtig war.
Und vielleicht war es letztlich nötig, damit sich die Greifenlande gegen Thyrmantor erheben.« Er nahm einen Schluck und musterte die Bardin über den Rand seines Bechers hinweg. »Nun sagt mir, Sera, war es richtig oder falsch, was er tat?«
»Wenn es zum Aufstand kommt, und wenn der erfolgreich ist, dann war es richtig«, antwortete die Bardin nachdenklich. »Nimmt man uns aber fest und richtet uns hin, wäre es falsch gewesen.«
»Das sehe ich nicht anders.« Tarlon schmunzelte. »Ich habe auch etwas dagegen, hingerichtet zu werden. Aber jetzt, in diesem Moment, können wir nicht wissen, zu welchem Ergebnis Garrets Handeln führen wird. Niemand weiß es. Auch Garret nicht. Dennoch hat er gehandelt. Einfach so, nur aus dem Gefühl heraus.«
»Trügt sein Gefühl ihn öfter?«, fragte die Bardin.
»Selten. Eigentlich sogar nie. Ich kann mich daran erinnern, dass wir einmal fischen gehen wollten. Das heißt, er wollte gehen, ich nicht. Ich war auf der Suche nach einer Eiche für meinen Vater. Vierzig Schritt hoch sollte sie sein, gerade gewachsen und gesund, außerdem so gelegen, dass man ihren Stamm leicht abtransportieren konnte … So viele gibt es davon nicht, aber Garret meinte, ich solle mitkommen, er habe das Gefühl, wir würden etwas Passendes finden.« Tarlon setzte den Becher ab und schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich zuvor drei lange Wochen ergebnislos durchs ganze Tal gestreift war. Nun, ich lehnte ab, da ich ja den Baum finden musste. Garret erklärte mir, wo er fischen wollte, und meinte, ich könne ja hinkommen, wenn ich keine Lust mehr zum Suchen hätte. Am Abend, nach einem weiteren erfolglosen Tag, besuchte ich ihn dort. Garret schlief am Fuß einer Eiche, die Angelschnur um seinen Zeh gewickelt. Der Baum, unter dem er lag, war so kerzengerade und gesund, dass später selbst mein Vater überrascht war. Und der Abtransport war das reinste Kinderspiel.«
»War das Zufall?«, fragte die Bardin neugierig.
Tarlon zuckte die Schultern. »Möglich. Aber vielleicht wusste er es auch irgendwie. So ist es öfter bei ihm.«
Die Bardin sah ihn fragend an.
»Erinnert Ihr Euch an den Kronok?« setzte Tarlon erneut an. »Es war stockdunkel, niemand konnte etwas sehen. Aber Garret hatte das Gefühl, er würde treffen. Und Ihr habt selbst gesehen, wie gut es ihm gelang. Wie soll man jemandem wie ihm den Sinn von Logik und sorgfältiger Planung erklären?«
»Sa’vant’ee«, sagte die Bardin.
»Bitte?«
»So nennt man bei uns diejenigen, die das Glück begünstigt«, erklärte sie und sah nachdenklich drein. »Nur … manchmal verlässt es sie dann doch.«
»Was meint Ihr selbst vom Glück, alter Mann?«, fragte Lamar. »Ist es eine Laune der Göttin, oder steht mehr dahinter?«
»Ich weiß es nicht«, gab der Geschichtenerzähler zurück und streckte sich. Er sah aus den Fenstern der Gaststube hinaus auf den Marktplatz, der bereits im Dunkeln lag. Das lange Sitzen tat ihm nicht gut.
»Das Glück hat eine eigene Qualität«, meinte er dann nachdenklich. »Manchmal erkennt man es gar nicht. So mag sich jemand den Fuß brechen und doch nie etwas von seinem Glück erfahren.«
» Wie kann man von Glück sprechen, wenn man sich den Fuß bricht?«
»Stellt Euch einen Holzfäller vor. Der Baum, den er am nächsten Tag hätte fällen sollen, hätte ihn unweigerlich erschlagen. Wäre sein Fuß nicht gebrochen, hätte ihn dieses Schicksal
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