Das Erbe des Greifen
Kopf abschlug. Worauf einer ihrer Freunde ebenjenen Pfeil mit der Paste auf mich abschoss. Soviel also zu unseren Heldentaten.«
»Warum?«, wollte der Prinz wissen, während er den Grafen sorgfältig musterte.
»Warum ich sie erschlagen habe?«
Langsam, fast unmerklich, nickte der junge Prinz. Anders als sein Vater, der im gleichen Alter immer sehr umtriebig gewesen war, war Prinz Seimark sehr sparsam in seinen Bewegungen. Wozu er auch allen Grund hatte.
»Belior gab die Anweisung, alle gefangenen Frauen den Soldaten zu übergeben und danach an die Kronoks zu verfüttern.«
»Ich verstehe«, meinte der Prinz leise.
»Tut Ihr das wirklich?«, fragte Lindor zweifelnd. »Ihr hättet die Heilerin sehen sollen, Hoheit. Stolz und aufrecht stand sie vor mir, obwohl sie große Angst hatte, das konnte ich sehen, und dennoch …« Der Graf schluckte und schaute zu Boden. »Dennoch spuckte sie vor mir aus, als ich ihr anbot, sie leben zu lassen, wenn sie uns nur erzählen würde, was sie über die Geheimnisse des Dorfes wusste. Vielleicht ahnte sie auch, was mit ihr geschehen würde, ließe ich sie am Leben. Denn es ist bekannt, dass es im Krieg üblich ist, die Frauen des Feindes leiden zu lassen.«
Der Prinz nickte.
»Ich hörte schon, dass so etwas immer wieder geschieht. Aber, wart Ihr es nicht, der bei der Belagerung von Arnin solches untersagte?«, wollte der Prinz wissen.
»Das war damals noch ein anderer Krieg, Hoheit«, antwortete der Graf mit rauer Stimme. »Weshalb der Kanzler in seiner Weisheit später auch entschieden hat, dass mein Wort keinen Wert mehr besitzt, und ein Exempel statuieren ließ.«
Der Prinz sah auf seine Hände herab. »Manchmal bin ich fast froh, dass ich dieses Königreich nicht erben werde«, sagte er kaum noch hörbar.
»Sagt so etwas nicht, Hoheit«, widersprach Graf Lindor erschrocken. »Ihr werdet einst die Krone Thyrmantors tragen und Eurem Vater Ehre bereiten!«
»Mein Vater hätte nicht aufgegeben, nicht wahr?«, fragte der Prinz. Der Graf sah ihn an und seufzte. »Nein«, gab er ihm schließlich zur Antwort. »Es war die Krankheit …«
»Die Krankheit«, wiederholte der Prinz bedächtig. »Es heißt, dass ich an derselben Seuche leide wie er. Nur war ich zuvor niemals krank, und mein Vater ebenfalls nicht.«
Diesmal gab Graf Lindor dem Prinzen keine Antwort. Sie wussten beide um die Wahrheit. Es stand außer Zweifel, dass die Krankheit des Prinzen dem gleichen Gift geschuldet war, das auch seinen Vater, den König, dahingerafft hatte. Die Medizin, die der Kanzler dem Prinzen regelmäßig verabreichte, war sowohl ein Gift als auch ein Gegengift. Verweigerte der Prinz die Einnahme der Dosis, fühlte er sich binnen eines Tages dem Tode nahe, nahm er sie, schwächte und lähmte sie ihn. Einmal hatte der Prinz seine Dosis einem Schwein gegeben, das daraufhin innerhalb von drei Tagen gestorben war.
Der Prinz atmete tief durch und richtete sich etwas auf. Danach hob er sein Kinn, und sein Blick machte klar, dass er über die »Krankheit« nicht weiter zu sprechen wünschte.
»Sie lehnte also ab? Diese Frau aus dem Dorf?«
»Wenn Ihr es so nennen wollt. Ich denke, sie wusste, dass sie nicht auf Gnade hoffen konnte. Wir hatten zu dem Zeitpunkt bereits gegen die Dörfler verloren … und meine Leute waren verbittert und wütend. Sie … sie hätten ihre Wut an ihr ausgelassen!«
»Also war es wohl doch kein glorreicher Sieg?«
Der Graf schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, Hoheit. Es war eine vernichtende und zugleich beschämende Niederlage. Wir haben verheerende Verluste einstecken müssen.«
»Was führt Euch dann hierher, Graf?«
»Belior schickt mich, eine weitere Stadt für Euch zu erobern. Heute noch breche ich auf.«
»Was ist das für eine Stadt?«
»Sie liegt in den Vorlanden, einer ehemaligen Provinz Alt Lytars, die auch Greifenlande genannt wird. Die Stadt ist befestigt und Haupt- und Hafenstadt zugleich. Ihr Name ist Berendall, und sie eignet sich hervorragend, um dort die Truppen zusammenzuziehen, die der Kanzler braucht, will er Lytar endlich ganz für sich gewinnen. Er will die Kriegsmaschinen, die es dort gibt.«
»Also verhält es sich so, wie er sagte, und es gibt diese Kriegsmaschinen tatsächlich?«
»Ja, Hoheit. Ich selbst habe eine von ihnen gesehen, einen Falken aus Metall, zwar nur halb so groß wie Nestrok, doch schnell und wendig.«
Der Prinz seufzte. »Er wird diese Maschinen gegen die Elfen einsetzen?«
»Ja, Hoheit«, gab Lindor leise
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