Das Erbe des Greifen
senden, denn letztlich war es nicht weniger als ein Wunder, dass er überhaupt noch denken konnte!
Sein Brustkorb schmerzte, denn die Magie ließ ihn zwar das Wasser atmen, aber es blieb Wasser, und das ließ sich nur schwer durch seine Lungen bewegen. Seine Brustmuskeln und das Zwerchfell protestierten mit jedem Atemzug. Natürlich war er dankbar für diese verfluchte Magie – offenbar hatte Garret Recht und sie war doch ab und an zu etwas nütze –, aber sie verlangte ihm einiges an Schmerz und Mühsal ab. Kein Grund also, dachte Argor, jemals ein Fisch werden zu wollen!
Wieder stieß er sich vom Boden ab, doch diesmal kam er nicht halb so hoch wie zuvor. Ohne Luft in seinen Lungen sackte er ab wie ein. Stein. So würde er wohl nicht zurück in seine Welt gelangen! Wo aber war der Weg dorthin?
Die Steinwand der Hafenmole lag zu seiner Linken, und über ihm schwebten die Rümpfe der beiden Schiffe, zwischen denen er und der Priester ins Wasser gefallen waren. Also ging es in diese Richtung landeinwärts.
Den Göttern sei Dank, dachte er, dass sie seiner Rasse die Fähigkeit gegeben hatten, auch im Dunkeln noch sehen zu können!
Langsam und bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen und bewegte sich über den Grund landeinwärts, seltsam schwerelos und schwerfällig zugleich.
Sein Fuß verfing sich in einer Schlinge, er bückte sich und zog das alte Seil zur Seite. Da grinste ihn ein Totenschädel an. Erschrocken ließ er das Seil los, das langsam wieder zu Boden sank. Offenbar gehörte es hier zur Tradition, Leichen im Hafenbecken zu entsorgen, Dutzende lagen hier herum, zum Teil mit Netzen und Steinen beschwert, eine davon war noch recht neu. Aufgedunsen und von Fischen angefressen, schwebte der Mann aufrecht vor ihm, andere Leichen waren alt und brüchig und zum Teil tief im Schlamm vergraben.
Er bemerkte etwas Glänzendes und hob es auf. Es war eine verrottete Geldbörse, prall gefüllt mit Gold und angelaufenem Silber … wenigstens, dachte Argor, hatte sich die Qual nun ein wenig gelohnt.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis er fand, wonach er so verzweifelt suchte: Treppenstufen, die an die Oberfläche führten.
Langsam stieg er sie hinauf, und als sein Kopf durch die Wasseroberfläche stieß, atmete er erleichtert aus. Ein Schwall Wasser ergoss sich aus seinem Mund, doch als er diesmal einatmete, war es die Luft, die wie Feuer in ihm brannte.
Keuchend, hustend und von Krämpfen geschüttelt, arbeitete sich Argor zwei weitere Stufen empor und blieb röchelnd auf der nächsten liegen. Immer wieder rissen ihn die Hustenkrämpfe fast entzwei, wieder und wieder spie er Wasser aus, bis er schließlich, schwer atmend und kraftlos wie ein kleines Kind, auf die Treppenstufe sank.
Wie lange es gedauert hatte, bis er die Kraft fand, sich aufzusetzen, wusste er nicht.
So fest hatte seine Hand sich um das Armband gekrallt, dass es ihm nun schwer fiel, die eigenen steifen Finger zu lösen. Aber dann hielt er den Armreif in den Händen und musterte ihn mit tränenden Augen. Mit zitternden Fingern streifte er ihn sich um den Arm und schwor dabei, ihn niemals mehr abzulegen, egal was kommen möge!
Als er an Leonoras Hintertür klopfte, war er so erschöpft, dass er für Sina, die ihm hastig die Tür zur Küche öffnete, nicht mehr als ein fahles Lächeln übrig hatte.
»Argor!«, rief die junge Sera entsetzt, als der Zwerg triefnass an ihr vorbeitaumelte. »Was, bei den Göttern, ist dir denn zugestoßen!«
Argor sank auf die Knie, sah zu ihr hoch und nuschelte etwas von Wasser. Hastig füllte sie einen Becher voll und hielt ihm diesen hin, doch bevor er ihn greifen konnte, kippte er zur Seite um und rührte sich nicht mehr.
Besorgt beugte sich Sina über den jungen Zwerg, um dann erleichtert aufzulachen, als er zu schnarchen begann.
»Was ist geschehen?«, fragte Knorre, der seinen Kopf durch die Tür zur Halle steckte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Sina. »Es sieht ganz danach aus, als habe er ein Bad genommen!«
»Argor?«, rief Knorre zweifelnd und kratzte sich am Kopf. »Niemand bringt einen Zwerg dazu, sich ins Wasser zu begeben!«
»Nun«, sagte sie, »es war wohl nicht ganz freiwillig. Er ist tropfnass und völlig erschöpft …« Sie legte eine Hand auf Argors Hals und sah erschrocken zu Knorre hoch. »Außerdem ist er kalt wie Eis!«
»Dann sollten wir ihn ins Bett stecken«, meinte Knorre. Er griff den jungen Zwerg, wobei dessen Ärmel verrutschte und der Armreif zum Vorschein kam.
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