Das Erbe des Greifen
könnt Euch dem Schicksal nicht entziehen. Als ich erkannte, dass ich durch meinen Falken gezwungen bin, Euren Anweisungen zu folgen, war ich zunächst erzürnt. Doch dann begriff ich, wer Ihr seid, Hoheit, und fühlte Erleichterung. Ich fand mich mit meinem Schicksal ab.« Er sah sie offen an. »Dasselbe solltet Ihr nun auch tun.«
»Wie meinst du das?«, fragte Meliande. Sie sah an ihm vorbei zu Helge hinüber. Der Heiler kümmerte sich gerade um den Bauern, der vorhin von dem Wagen überfahren worden war. »Jeder Mensch bestimmt sein Schicksal selbst.«
»Ja. Aber manchmal führt ihn diese Bestimmung auf einen Weg, den er nicht mehr verlassen kann.«
»Das ist wohl wahr«, gab sie widerwillig zu. »Wieso half es dir, zu wissen, wer ich bin?«
»Vorher hoffte ich, dass Ihr und Barius Euch geirrt hättet. Dass der Fehler, den ich begangen habe, nicht auch gleichzeitig mein Ende besiegelte. Doch als ich verstand, dass Ihr die Prinzessin seid, wusste ich, dass Ihr Euch kaum täuschen würdet. Ihr wart auserwählt zu herrschen, Ihr und Euer Bruder. Mein Falke weiß es, er spürt das Blut des Greifen in Euren Adern. Also solltet Ihr auch wissen, was es mit dessen mächtigster Waffe auf sich hat.«
»Ja«, gab Meliande leise zu. »Ich weiß es nur zu gut.«
»Als mir dies alles bewusst wurde, fasste ich den Vorsatz, mein Leben dem zu widmen, was Ihr verkörpert. Ihr seid die Hoffnung von Lytar. Ich diene Euch mit allem, was ich bin. Ich würde mein Leben für Euch hergeben.«
»Es ist der Falke, der da in dir spricht, Marten«, stellte Meliande traurig fest.
»Nein«, widersprach Marten. »Ihr wisst, dass ich Euch nicht belügen kann, nicht wahr? Also glaubt es mir. Der Falke beherrscht nicht mich, ich beherrsche ihn.« Er lächelte schwach. »Auch wenn es am Anfang anders war.«
Sie nickte langsam. »Ich glaube dir. Zumindest, dass du es glaubst. Aber dann verstehe ich noch weniger, warum du meine Herkunft offenbart hast.«
»Hoheit, ich sah wie Garret einen Beutel mit Euren Knochen zu Barius trug. Ihr habt damals Euer Leben für Lytara gegeben. Ohne zu zögern habt Ihr Euch gegen Hendriks’ Stoßtrupp gestellt. Ich sprach mit einigen seiner Söldner, diese Männer und Frauen waren hervorragende Soldaten. Es traf den Hauptmann schwer, sie verloren zu haben.« Marten sah zu Hendriks hinüber, der sich noch immer mit dem hünenhaften Söldner unterhielt. »Ihr könnt der Göttin danken, dass er es nicht Euch zum Vorwurf macht, sondern Belior. Ich erwähne dies alles nur, um Euch eines mitzuteilen: Ich weiß, dass Ihr jemand seid, der sein Leben in die Waagschale wirft, wenn es gefordert ist. Jemand, der nicht zurückschreckt, das Richtige zu tun! Ser Barius und die anderen Hüter wussten es auch. Sie haben ihr Leben eingesetzt, damit Loivan Euch ins Leben zurückrufen konnte. Ich habe mich durch Dummheit selbst zu meinem Schicksal verdammt, aber jeder der Hüter nahm das seine freiwillig auf sich. Ich habe mich schon immer gefragt, was einen Menschen ausmacht, für den andere zu sterben bereit sind, dem sie bedingungslos folgen, in dem Vertrauen, dass es das Richtige ist, wofür man stirbt! Ich stand da, und sah die Hüter fallen, während Ihr wiedergeboren wurdet, und zwar nicht als etwas Unheimliches, von seltsamster Magie beseelt und auf ewig in modernden Knochen gefangen, sondern als die Frau, die Ihr wart, als die Göttin uns strafte. Hoheit, wie alt wart Ihr, als sich das Tor des Depots hinter Euch schloss?«
»Drei Dutzend und zwei Jahre«, antwortete Meliande leise. »Warum willst du das wissen?«
»Um Euch etwas zu verdeutlichen. Ich sehe Euch vor mir stehen, in Euer Rüstung, nur Euer Gesicht ist zu erkennen. Aber es reicht mir, um zu wissen, dass Ihr nicht viel älter seid als ich. Die Götter sind seltsam. Vieles, was sie tun, wird mir auf ewig unverständlich bleiben. Niemals werde ich verstehen können, weshalb die Göttin ganz Lytar vernichtete. Was damals auch Grausames geschah, die Strafe traf in großer Zahl auch Menschen, die ohne Schuld waren! Aber wenn ein Gott jemanden ins Leben zurückruft und ihn dabei noch verjüngt … Hoheit, wie alt wart Ihr, als sich die Katastrophe ereignete?«
»Marten«, begann Meliande, »ich wollte dich zur Rede stellen … und nun stellst du mir Fragen.«
»Ihr braucht es mir nur zu verbieten, Hoheit«, entgegnete Marten mit einem schmerzlichen Lächeln. »Oder aber Ihr antwortet mir und lasst mich Euch erklären, warum ich tat, was ich tat.«
»Es
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