Das Erbe des Greifen
wissen. »Die Akademie ist damals vollständig geräumt worden, dort war nichts mehr von Wert, die meisten Räume waren verschlossen, ich habe mich selbst davon überzeugt. Niemand lebte mehr dort …«
»Es gab dort zwei Statuen«, konterte Tarlon und bereute es sofort, denn die Freunde waren übereingekommen, niemandem zu erzählen, was in der Akademie geschehen war, und nun hatte er sich verplappert. »Eine davon zeigte eine Frau, die dort einst Unterricht in der Anwendung von Magie gegeben hat, und als wir sie berührten, war es so, als ob wir an einer ihrer längst vergangenen Unterweisungen teilnehmen würden. Eine Art Traum, aber danach war ein jeder von uns verändert.«
»Die anderen haben die Statue auch berührt?«, fragte die Bardin seltsam gespannt.
»Ja. Aber Elyra und Garret lernten jeweils etwas anderes, das weiß ich. Mir sagte die Sera, dass ich kein wahres Talent für Magie besäße und sie mir deshalb nur zwei Dinge beibringen kann. Zum einen, wie ich in Zukunft besser höre, zum anderen ihren Namen, damit ich sie rufen könnte, sobald sie eines Tages wieder gebraucht wird.« Er zuckte mit den Schultern. »Es war wie gesagt nur ein Traum …«
»Ich war in der Akademie, bevor sie verschlossen wurde. Es gab dort nur eine einzige Statue, und das war die des Gründers der Akademie«, gab die Bardin zurück. »Ich kann mich an keine weibliche Statue erinnern.«
»Sie stand auf einem Brunnen«, teilte Tarlon ihr mit. »Ich täusche mich nicht, und im Podest war ihr Name in Runen eingelassen, und es lag Staub auf ihren Schultern.«
»Was stand dort? Weißt du es noch?«
»Lanfaire, Dienerin der Herrin der Ewigkeit, Großmagisterin der Künste, Hüterin des Tales«, zitierte Tarlon und ließ die Bardin dabei nicht aus den Augen. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, allein bei der Nennung des Namens schien dem jungen Mann, als ob sich ihre Augen etwas geweitet hätten. »Sagt Euch dieser Name etwas?«
»Nein«, antwortete die Bardin, vielleicht etwas zu hastig. Sie begegnete seinem skeptischen Blick und nickte dann schließlich. »Doch … es gibt eine Legende über sie.«
»Und Ihr als Bardin kennt nicht zufällig den Inhalt dieser Legende?«
»Es ist eine menschliche Legende«, beschied ihn die Bardin, und Tarlon hatte den deutlichen Eindruck, dass sie ihm nichts weiter darüber erzählen wollte. »Menschliche Legenden sind meist nicht zuverlässig«, erklärte sie ihm. »Das, was wahr an ihnen ist, verliert sich im Laufe der Generationen, durch jede Weitererzählung verändert es sich, bis zum Schluss kaum noch etwas davon übrig ist. Und diese Legende war schon alt, als ich noch jung war.«
»Erzählt sie mir trotzdem«, bat Tarlon.
Sie seufzte. »Sie ist nicht wahr. Wäre sie wahr, käme sie auch in den Überlieferungen meines Volkes vor. Schließlich soll Lanfaire eine Elfin gewesen sein.«
»Wenn die Statue ihr Bildnis lebensecht wiedergab, war sie keine der Unsterblichen«, warf Tarlon ein. »Jeder Elf, den ich bis jetzt sah …«
»Und das wären dann schon immerhin zwei an der Zahl«, unterbrach sie ihn schnippisch.
» … war ungewöhnlich schlank, fast schon zierlich«, fuhr Tarlon ungerührt fort. »Das traf auf Lanfaire aber nicht zu. Sie war von athletischem Körperbau, etwa wie Vanessa, und auch wenn sie den Elfen ähnliche Züge aufwies, kann ich Euch doch sagen, dass sie kein Elf war.«
»Du hast eine Statue gesehen.«
»Ich sah sie in meinem Traum.«
»Ein Traum …«
»Ein Traum, der mir beibrachte, wie ich besser hören kann«, erklärte er und sah sie bedeutsam an. »Und auch wenn ich nicht hören will, so spüre ich doch, dass Ihr etwas vor mir verbergen wollt. Dieses Fühlen ist ihre Gabe … und nicht die eines Traumgebildes.«
»Hörst du jetzt auch meine Gedanken?«, fragte sie, und die Art, wie sie ihn dabei ansah, gefiel ihm ganz und gar nicht.
»Nein«, sagte er. »Doch ich spüre Euer Unbehagen. Außerdem tut Ihr auch nichts anderes als ich.« Sie sah ihn überrascht an.
»Wie das? Ich lese ganz bestimmt niemandes Gedanken.«
»Ihr seid so alt, dass Ihr gelernt habt, in den Menschen wie in einem offenen Buch zu lesen. Ihr macht es nur anders als ich, doch darin sehe ich keinen großen Unterschied. Ihr tut es, und Ihr nutzt Eure Gabe auch. Wie oft sah ich Euch schon die Reaktionen der Menschen um Euch herum abwiegen, um dann genau das zu sagen, was Euch notwendig schien, um die Menschen in Eurem Sinne handeln zu lassen. Mit Blicken, Worten und Gesten habt
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