Das Erbe des Greifen
erfahren, wenn es so weit ist. Ich selbst war noch ein Kind, ab er uns die Geschichte das letzte Mal erzählte, nicht sehr viel älter als unsere kleine Saana hier. Daher weiß ich auch, dass am Ende der Erzählung alle offenen Fragen gelöst werden. Wenn ich mich recht entsinne, war der König auch nicht wenig irritiert darüber. Ihr müsst Euch also nur noch ein wenig gedulden.«
»Der König?«, fragte Lamar überrascht.
»Ja, natürlich. Wem sonst sollte er diese Geschichte erzählt haben?« Der Wirt wischte geschickt den Tisch ab und lächelte ihn schelmisch an. »Da kommt er wieder, habt also, wie gesagt, noch etwas Geduld.«
Als sich der alte Mann wieder an den Tisch setzte, zwinkerte der Wirt ihm zu, und der Geschichtenerzähler lachte leise. Verschiedene Leute begannen untereinander zu tuscheln, und wieder fand sich Lamar im Mittelpunkt aller Blicke und fühlte sich nicht ganz wohl dabei.
»Ihr solltet ein anderes Wams anziehen, Freund Lamar«, bedeutete ihm der alte Mann, als er merkte, dass dem Gesandten die Aufmerksamkeit der Versammelten nicht so recht behagte. »So viel Goldbrokat blendet nur das Auge!«
»Was ist falsch an ihm?«,wollte Lamar wissen. »Es ist die neueste Mode.«
Der alte Mann schmunzelte. »Lasst Euch von mir nicht ins Bockshorn jagen, wenn Euch das Wams gefällt, so tragt es.« Er blickte sich im Raum um und schmunzelte noch mehr. »Einigen der Seras scheint er außerdem zu gefallen.«
Zu seinem Entsetzen stellte Lamar fest, dass ihm auf diese Bemerkung hin die Röte ins Gesicht stieg und der alte Mann nochmals breiter grinste. »Nehmt es mir nicht Übel, Freund«, bat er. »Wir sind einen solchen Glanz in Lytara einfach nicht gewöhnt.« Befriedigt nahm er zur Kenntnis, dass der Wirt ihnen mittlerweile ein neue nasche Wein kredenzt hatte, die er nun geschickt entkorkte. Danach schenkte er sich nach, mischte seinen Wein nun aber ebenfalls mit Wasser aus dem Krug. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Die Bardin, Vanessa, Tarlon und Garret waren auf dem Weg nach Berendall.«
»So habt Ihr bislang also tatsächlich zugehört«, nickte der alte Mann wohlwollend. »Dann wollen wir sie mal eine Weile weiterreiten lassen, denn schließlich spielt diese Geschichte auch noch an anderen Orten, und vieles, was sich woanders ereignet hat, war gleichfalls von Bedeutung … und so sollte ich jetzt wohl besser damit fortfahren zu erzählen, was sich zur gleichen Zeit in Alt Lytar zugetragen hat. Wie Ihr wisst, war Elyra jetzt unsere Priesterin. Und sicherlich könnt Ihr Euch auch denken, wie sehr sie darauf erpicht war, den Tempel der Göttin zu betreten …«
Brückenschlag
»Vater ist oben beim Zelt«, antwortete Astrak, der Sohn des Alchimisten, auf Elyras Frage nach Pulvers Aufenthaltsort. »Er spricht gerade mit Meister Ralik darüber, wie wir mit den Gefangen verfahren sollen. Keinem von uns ist es ganz geheuer, dass es mehr von ihnen als von uns gibt.«
Astrak saß auf einer Bank vor der alten Börse, zu seinen Füßen stand ein großer Weidenkorb, in dem sich allerlei seltsame Gegenstände befanden, die der jungen Priesterin allesamt unbekannt waren. »Es wird wahrscheinlich noch etwas dauern, du weißt ja, wie die beiden sind, wenn sie miteinander diskutieren. Willst du mir nicht solange etwas Gesellschaft leisten?«
Elyra blickte sich um und begutachtete den offenen, immer noch mit Schlamm und Geröll bedeckten Platz, der vor ihnen lag und auf dem kleine Gruppen von Gefangenen, unter der Aufsicht von Hendriks’ Söldnern, gerade dabei waren, diverse Aufräumarbeiten zu verrichten. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und es war so warm, dass der Schlamm bereits zum größten Teil getrocknet war, dennoch stank es erbärmlich. Astrak schien das jedoch in keiner Weise zu stören, was für Elyra nicht weiter verwunderlich war, nachdem den Kleidern von Astraks Vater so manches Mal noch viel üblere Gerüche entströmten.
»Nein, danke«, antwortete sie höflich.
»Schade«, meinte Astrak. »Was denkst du wohl, was das ist?«, fragte er und hielt ihr einen offenen Kubus entgegen, in dessen Innerem sich feine gezackte Räder aus einem glänzenden Metall befanden, auf denen hier und da kleine Edelsteine funkelten. »Schau, hier ist eine Scheibe mit Zahlen, von eins bis sechsundzwanzig, so viele, wie der Tag Kerzen hat. Deshalb meint Vater, es habe etwas mit der Zeit zu tun … nur was?«
Elyra warf einen Blick auf die eigentümliche Konstruktion und schüttelte dann den
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