Das Erbe des Greifen
»Dennoch, junger Ser, solltet Ihr nicht so voreilig sein. Es sind nicht nur Glanz und Glorie, die einen erwarten, dient man dem Reich … Ihr seid auf Eurer Farm gut aufgehoben, glaubt mir. Noch eine weitere Runde?«
»Gern«, antwortete Garret und schüttelte seinen Würfelbecher. Er knallte ihn auf den Tisch und hob ihn leicht an, vier Eichenblätter oben. Seufzend konzentrierte sich Garret und warf drei der Würfel dank seiner magischen Fähigkeiten, deren er sich in der Akademie bewusst geworden war, wieder um. Noch war es nicht an der Zeit, zu gewinnen. Dann hob er den Becher an, worauf der Zeugmeister breit grinste und nun seinerseits nach dem Becher griff und zu würfeln begann. Wieder strich der Mann den Gewinn ein und winkte mit einer Geste die Schankmagd herbei.
»Noch zwei Bier!«, rief der Soldat. »Für mich und meinen Freund hier. Ihr seid eingeladen«, lachte der Mann Garret an. »Schließlich habt Ihr sie auch bezahlt.«
»Danke, Ser. Irgendwie plagt mich beim Würfelspiel immer der Durst.«
»Ha, das kenne ich«, rief der Zeugmeister aus und stieß mit Garret an.
»Aber warum habt Ihr mir davon abgeraten, Soldat zu werden?«, fragte Garret. »Auf unserer Farm gibt es nichts mehr für mich zu tun. Außerdem hörte ich, dass vor den Mauern Berendalls ein Soldatenlager aufgeschlagen ist. Es wird doch dort einen geben, bei dem man sich melden kann. Zudem soll ein unbesiegbarer Drachenreiter das Kommando über die Truppen übernommen haben. Und ich will auf der Seite des Siegers stehen, wenn ich mich schon bewerbe. Wer legt sich denn gerne mit einem Drachen an?« Garret kratzte sich hinterm Ohr. »Aber vielleicht stimmt das ja auch alles gar nicht. Nicht immer entspricht das, was man so hört, auch der Wahrheit.«
»Diesmal habt Ihr allerdings die Wahrheit vernommen. Es gibt tatsächlich ein Lager der Königlichen nahe Berendall, und Graf Lindor, der Drachenreiter, führt das Kommando dort. Soweit stimmt also alles. Trotzdem, Ser, solltet Ihr Eure Entscheidung noch einmal überdenken. Nicht dass es Euch noch so ergeht wie mir.«
»Wie ist es Euch denn ergangen, Ser?«, erkundigte sich Garret, während er die Würfel wieder tanzen ließ. Diesmal erlaubte er sich einen kleinen Gewinn … faszinierend, dass es mit jedem Wurf einfacher wurde, die Würfel nach Wunsch fallen zu lassen. »Euch scheint es doch gut zu gehen, abgemagert seht Ihr jedenfalls nicht aus.«
Der Zeugmeister lachte laut auf und schob drei Kupferstücke zu Garret über den Tisch. Dann klopfte er sich auf den Bauch. »Nun, das ist alles hart erarbeitet«, grinste er. »Aber Ihr könnt mir glauben, es kann nur allzu leicht passieren, dass man nichts anderes mehr als Gras und Wurzeln zu Fressen kriegt. Gut, so schnell wird es wohl keinen Krieg mehr geben … doch das Leben in der Armee ist alles andere als schön und geht auch nicht gut mit einem um. Manchen Menschen geht etwas dabei verloren, wenn sie töten.« Der Zeugmeister wurde von einem Gähnen überrascht und führte hastig seine Hand vor den Mund.
»Es ist Zeit für mich«, meinte er dann. »Habt Dank für Euer Kupfer, junger Ser, aber hört auf meine Worte. Erspart es Euch, Soldat zu werden … es ist nicht gut für Euer Seelenheil.« Leicht schwankend erhob sich der Zeugmeister, beugte sich aber noch einmal zu Garret hinunter.
»Der Göttin Segen mit Euch, junger Ser«, murmelte er leise. Dann wandte er sich ab und ging mit dem leicht staksenden Gang eines Menschen davon, der nicht wahrhaben will, dass er zu viel getrunken hat.
»Und mit Euch, Ser«, flüsterte Garret. Er packte den Würfelbecher ein und wandte sich an Tarlon, der noch immer still neben ihm auf der Bank saß, die Hände über dem Bauch gefaltet, und anscheinend schlief.
»Bist du wach?«, fragte Garret leise.
»Natürlich«, antwortete Tarlon, ohne die Augen zu öffnen.
»Solche Menschen machen es einem schwer, sie zu hassen«, sagte Garret nachdenklich und sah zu, wie der Zeugmeister mit Mühe die Treppe, die zu den Gastzimmern führte, nach oben stieg. »Wer hätte denn gedacht, dass ausgerechnet ein Zeugmeister in Beliors Armee eine ehrliche Haut ist?«
»Warum sollte man ihn auch hassen?«, entgegnete Tarlon, ohne sich zu bewegen. »Er weiß, wie man Geschäfte macht, ist meistens ehrlich und eher von gutmütiger Gesinnung. Er glaubt an Mistral, weil sie sein Gebet erhört und seine Tochter eine schwere Krankheit überstanden hat. Er ist ein ganz normaler Mensch, der zusieht, wie er überleben
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