Das Erbe des Loewen
dichten Laubwerk nichts zu sehen. Mit etwas Glück würde auch sie nicht erkannt werden. Doch wenn sie sich rührte, lief sie Gefahr, entdeckt zu werden. Sie war hin und her gerissen zwischen Angst und Entschlossenheit. Und sie zog alle Möglichkeiten in Betracht.
„Ich werde mich umsehen“, erklang die heisere Stimme erneut.
Damit ist die Entscheidung gefallen. Laurel blickte sich um und lief geduckt zwischen den Bäumen davon.
„Wie Ihr seht, fließt das Wasser so nahe an den Felsen, dass es kein Flussufer gibt.“ Ellis wies auf die steil abfallenden Hänge, die aus dem Wasser aufragten.
Kieran nickte beeindruckt. „Ist das den ganzen Weg entlang der Berge so?“
„Ja. Auf der Talseite sind die Abhänge sanft genug, um unsere Tiere grasen zu lassen, doch die Außenseite ist steil und unüberwindlich. Manchmal verirrt sich ein Schaf auf die Anhöhe, verliert den Halt, stürzt in den Abgrund und bricht sich das Genick.“
„Damit ist klar, dass ein Angriff nur am Tunneleingang erfolgen kann. “
„Ja. Doch wir haben sie bereits zweimal zurückgeschlagen. Vielleicht werden sie müde, Männer für eine verlorene Sache
zu opfern, und ziehen ab.“
„Das ist unwahrscheinlich. Eure Späher berichteten, Rauch in den Lowthers gesehen zu haben. Offenbar haben sie dort ihr Lager und warten nur auf eine Möglichkeit, zuzuschlagen. Wir müssen sie aufhalten.“ Je früher, desto besser. Dann wollte er seinen Lohn nehmen und sich auf den Weg machen.
Ellis seufzte. „Wie sollen wir das tun?“
„Mit einem Angriff. Wir werden ihnen eine Falle stellen.“ Gerade als er die Worte sprach, wurde Kierans Aufmerksamkeit abgelenkt. Was zum ...? Ein rascher Blick über die Ebene, das Flussufer und Felswand ergab keine Anzeichen von drohendem Ärger. Und doch ... „Wir sollten umkehren.“ Es war keine Laune. Er musste zurück. Er musste Gewissheit haben, dass Laurel nichts geschehen war.
Doch was hatte ihm diesen Gedanken eingegeben? Sie hatte ausreichend bewiesen, dass sie sich selbst schützen konnte. Indes ...
Angst vor drohender Gefahr kroch eiskalt über seinen Rücken. Kieran trieb den Hengst an. Er achtete nicht darauf, dass das Schlachtross mächtig ausholte und so den Vorsprung zu den Männern gewaltig vergrößerte. Gerade als er die Furt des Flusses erreichte, durchbrach ein Schrei die Stille und hallte von den Felsen wider.
Laurel!
Kieran gab Rath die Sporen und galoppierte die Baumreihe entlang. Diese verdammten Bäume. Gott allein wusste, warum Laurel sich von den sicheren Felsen weg gewagt hatte.
„Laurel! Laurel!“ brüllte Kieran.
Wie zur Antwort brach ihr Pferd plötzlich aus dem Gebüsch hervor. Mit geweiteten Augen, die Ohren angelegt, sprengte es vorbei, als ob die Höllenhunde hinter ihm her wären. Ungeachtet der Gefahr stürzte Kieran sich in das Buschwerk. Bereits nach wenigen Schritten bot sich ihm ein Anblick, der seine schlimmsten Befürchtungen bestätigte.
Laurel stand mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, ihr Dolch blitzte kampfbereit, um einen Mann von sich abzuhalten. Auf dem Boden lag ein zweiter Mann, in dessen Arm ein Pfeil steckte. Die Düsternis konnte die Angst in ihren Augen und auch das Blut auf ihrer Tunika nicht verbergen.
„Laurel!“ Kieran sprang von Rath und lief ihr mit gezogenem Schwert entgegen.
„Kieran!“ Laurels Gesicht strahlte vor Erleichterung.
Doch nur kurz, denn ihr Gegenspieler benutzte den Augen-blick, um ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen. Er umklammerte ihren Arm, riss sie an sich und legte die Klinge seines Schwertes gegen die verwundbare Stelle an ihrem Nacken. „Eine Bewegung, und sie stirbt.“
„Füge ihr ein Leid zu, und es wird Tage dauern, bis du stirbst“, schwor Kieran, blieb jedoch stehen.
„Ein leeres Versprechen“, schnaufte der Mann. Seinem Begleiter rief er zu: „Holt unsere Pferde.“
Der Mann, größer und besser gekleidet als der andere Bandit, mühte sich auf die Beine und stolperte durch das Unterholz. Trotz seiner Verwundung kehrte er rasch mit zwei Pferden zurück. Er war so begierig fortzukommen, dass er sich bereits in den Sattel schwang, während er die Zügel des zweiten Pferdes seinem Gefährten zuwarf.
Kieran wollte verdammt sein, wenn er Laurel aufgab. „Wenn du eine Geisel willst, nimm mich an ihrer Stelle.“
„Nein“, rief Laurel.
„Sie ist für meine Zwecke besser“, sagte ihr Entführer und zerrte sie zu dem Pferd.
Verdammt! Wo waren Ellis und die anderen? Kieran hatte sich nie zuvor
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