Das Erbe des Loewen
Mut, Gefallen an ihrem Verstand, ihrem Wissen und ihrer Aufrichtigkeit.
Sie verbarg nichts vor ihm, nicht ihre Leidenschaft, ihre Hoffnungen oder ihre Ängste. In ihren Augen las er eine Unruhe, die er mit ihr teilte, und eine Verwundbarkeit, die in ihm das Verlangen weckte, sie zu beschützen ... selbst wenn es bedeutete, die Verdrossenheit, die er sich als Schutz zugelegt hatte, abzulegen.
„In den Highlands löst man alle Bänder der Kleidung von Braut und Bräutigam“, sagte er zu Collie, doch es war Laurel, die er beruhigen wollte. Schlimm genug, dass er sich mit ihr unter falschen Voraussetzungen vermählte. Er wollte die Angelegenheit nicht noch verschlimmern, indem er ihr den Hochzeitstag verdarb. „Damit keine anderen Bindungen das Brautpaar behindern, außer dem Bund, den sie in der Kirche schließen.“
„Fallen dann nicht ihre Kleider herunter?“ fragte Collie. Alle
lachten. Doch nur das Lachen Laurels zählte für Kieran.
„Bist du bereit, mein Wort anzunehmen, dass ich mit niemand sonst verbunden bin?“ rief sie. „Ich habe kein Verlangen, plötzlich in meinem Unterhemd dazustehen.“
Auch er hatte kein Verlangen danach. Eifersucht keimte bei dieser Vorstellung in seinem Innersten auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah er die Männer an, die es wagten, ihre Blicke auf Laurel zu richten. Gleichgültig, aus welchen Gründen diese Vermählung stattfand, Laurel war sein. Die Männer der Carmichaels waren immer besitzergreifend, was ihre Frauen betraf, und wenngleich er sich auch bemühte, sich von diesem Clan zu trennen, schien er keine Ausnahme zu sein.
„Dann macht weiter“, sagte Rhys, der offenbar den Freund verstand.
Collie öffnete die Riemen von Kierans linkem Stiefel, dann erhob er sich und sagte: „Als Nächstes musst du ein Kreuz in die Pforte kerben.“ Aus dem Beutel an seinem Gürtel holte er einen Nagel heraus.
„Ist das alles?“ wollte er von dem Jungen wissen, der die Stirn runzelte und einen Hilfe suchenden Blick zu seiner Tante warf.
„Er muss nun Laurel hineinführen“, erinnerte Nesta den Neffen.
Endlich. Kieran lächelte und streckte Laurel den Arm entgegen.
Er lächelte. Sprachlos blickte Laurel auf das Grübchen in seiner Wange. Sein Haar war gestutzt, so dass es gerade seine Schultern berührte, und glänzte im Sonnenlicht schwarz wie der Flügel eines Raben. Auch seine Kleidung war völlig schwarz. Der strenge Schnitt seines samtenen Surkot betonte seine breiten Schultern und seine kräftigen Muskeln. Eine schwere Goldkette um seinen Hals war der einzige Schmuck, den er trug. Dass er sich solche Mühe gab, gut auszusehen, ließ sie beinahe Nachsicht dafür üben, dass er ihr Geschenk nicht trug. Beinahe.
Laurel hob den Blick, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er sah jung aus, zärtlich und ... verletzlich. Es war nur ein flüchtiger Augenblick. Sie konnte ihn jedoch nicht vergessen. Das Bildnis des Mannes, der er sein könnte, festigte ihren Schritt, als sie zu ihm trat, um ihre Hand in die seine zu legen. Die Berührung durchzuckte sie wie eine Flamme. Das Feuer drang bis zu ihren Zehenspitzen, die in blauen Lederschuhen steckten.
„Kommt. Ihr habt euer ganzes Leben vor euch, um herumzustehen und euch anzusehen“, murrte die Tante und geleitete sie über die Schwelle.
Drinnen war es heiß und düster, trotz der Kerzen, die auf dem Altar brannten. In ihrem Schein sah Laurel die geliebten Gesichter von Annie, Janet und Geordie und all den anderen, als sie langsam mit Kieran den Gang entlangschritt. Zuletzt fiel ihr Blick auf den Großvater, der in seinem hochlehnigen Stuhl ganz vorne in der Kapelle saß. Er hatte die Decken von sich geworfen. Er wirkte blass, doch sein Haupt war hoch erhoben. Seine Augen strahlten vor Liebe, doch sie waren tränenerfüllt.
Tiefe Ergriffenheit erfasste Laurel. Ihr Großvater mochte sie zu diesem Schritt getrieben haben, doch sie hätte sich mit niemand lieber vermählt als mit Kieran. Als sie den Altar erreichte, wandte sie ihm den Blick zu, aber seine Aufmerksamkeit war auf Father Stephan gerichtet. Kierans Züge wirkten stolz und streng im Kerzenschimmer. Er war ein harter, unbeugsamer Mann, und er war ihr Gemahl. Als der Priester die Worte sprach, die sie aneinander binden sollten, fügte sie ihre eigenen Gelübde an, ihn zu lieben, ihm zu helfen und ihn zu heilen ... ob er wollte oder nicht. Zu guter Letzt betete sie um Kraft und Geduld. Sie brauchte beides, denn Kierans Vertrauen war nicht leicht zu gewinnen, noch
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