Das Erbe des Vaters
bewußt. Ihr Besuch mußte eine Enttäuschung für Mrs. Plummer sein, sie verstand weder sie zu unterhalten noch abzulenken. Wenn sie operiert worden wäre und zehn Tage in einer Klinik liegen müßte, würde sie unterhalten und zerstreut werden wollen.
Also erzählte sie Mrs. Plummer von dem Gast, der im Schlaf durch die Korridore geirrt war und vom Nachtportier in sein Zimmer zurückgeführt werden mußte. Und von dem Mann, der irgendwelche obskuren amerikanischen Frühstücksflokken verlangt hatte, die es nur bei Harrods gab; und von der Frau, die behauptet hatte, sie hätte einen ihrer Brillantohrringe auf der Treppe verloren.
»Wir mußten sämtliche Staubsaugerbeutel durchforsten. Aber den Ohrring haben wir nicht gefunden. Sie hat ihn dann später ganz unten in ihrer Handtasche entdeckt. Dafür haben wir alle möglichen anderen Dinge gefunden – Knöpfe, Geld und sogar einen Orden. Stellen Sie sich das vor, einen französischen Kriegsorden.«
Mrs. Plummer lächelte. Ihre Hände, die nackt aussahen ohne die Ringe, die sie zu tragen pflegte, bewegten sich unruhig. »Und Johnnie?« fragte sie. »Haben Sie Johnnie gesehen?«
»Jake hat ihn im Klub gesehen.« Wo er an einer vollbusigen Rothaarigen hing, hatte Jake berichtet. Romy erinnerte sich der weißen Haut und des scharlachroten Kleides. Aber sie sagte nur: »Er hat erzählt, er hätte gut ausgesehen.«
»Er mag keine Veränderungen.« Mrs. Plummer sah besorgt aus. »Er mag es nicht, wenn seine täglichen Gewohnheiten durcheinandergebracht werden. Manche Männer sind so. Mein erster Mann war genau das Gegenteil. Er hat sich immer sehr schnell gelangweilt. Ganz anders als Johnnie. Johnnie ist sensibler.«
Mrs. Plummers Wangen hatten sich gerötet, als hätte das Blut wieder zu strömen begonnen. Unterhalten und ablenken. Romy fragte nach Mrs. Plummers zweitem Mann.
»Er hieß Vernon. Er war ein Gentleman. Aber ihm lag nichts an Frauen. Er hat es gut verborgen. Ich hatte keine Ahnung davon, als wir geheiratet haben, und ich habe im allgemeinen eine Nase für solche Leute, Schwule.«
»Warum haben Sie sich nicht scheiden lassen?«
»Es ging um den guten Ruf, Romy«, erklärte Mrs. Plummer. »Eine Frau ist nichts ohne ihren guten Ruf, daran müssen Sie immer denken. Wir leben in einer Männerwelt, und für die Männer gelten andere Regeln als für uns. Es ist schon so schwierig genug für eine Frau, etwas zu erreichen, da braucht es nicht noch eine Scheidung, wo in aller Öffentlichkeit die schmutzige Wäsche gewaschen wird. Ich hätte nicht die Klientel, die ich heute habe, wenn ich mich von Vernon hätte scheiden lassen. Wir hatten eine Vereinbarung, und sie hat sich bewährt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon begriffen, daß es keine Rolle spielt, was man tut, wenn man es nur für sich behält.«
Romy war neugierig. »Welcher von Ihren Ehemännern war Ihnen der liebste?«
Mrs. Plummer schwieg. »Ach, zünden Sie mir doch eine Zigarette an, Kind, ja?« Auf dem Nachttisch lag eine Packung Churchman’s King Size. Romy zündete eine Zigarette an und reichte sie Mrs. Plummer.
»Ehrlich gesagt –« Mrs. Plummer zog an ihrer Zigarette – »hatte ich von beiden nach einem Jahr genug. Sie waren ja auf ihre Art sehr nett, aber ich habe sie nicht geliebt. Das ist der Trick, mein Kind, sie nicht zu lieben. Dann ist man immer die Überlegene.« Ihre Augen verdunkelten sich. »Ich hätte nie gedacht, daß ich mich einmal ernsthaft verlieben könnte. Bis ich Johnnie begegnet bin«, sagte sie langsam. »Ich hielt das ganze Gerede von der Liebe immer für reinen Quatsch. Aber wenn man einen Mann liebt, tut man alles für ihn. Einfach alles.« Sie begann zu husten und hielt sich dabei sehr starr, aus Angst, die Naht an der Operationswunde könnte platzen.
An diesem Abend frischte der Wind auf. Vor einer Chipsbude in der Kentish Town Road fegte er Zeitungsblätter über die Straße und wickelte sie um Laternenpfähle.
Sie liebten sich in Toms elendem kleinem Zimmer. Romy hatte sich an die braune Couch gewöhnt. An diesem Abend fühlte sie sie kalt und hart unter ihrem Rücken. Im Frühling, als sie die ersten Male miteinander geschlafen hatten, hatte sie eine Ahnung davon bekommen, was Lust war und warum Frauen dafür alles aufs Spiel setzten – ihr Herz, ihren Ruf, ihre Unabhängigkeit. Jetzt, sechs Monate später, da es dem Winter entgegenging, fühlte sie sich wie versteinert. Seine Berührung schien zu zaghaft, zu unsicher. Als kennte er sie nicht,
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