Das Erbe des Vaters
ihr Vater das getan hatte. Er mußte die Gewißheit haben, daß es noch etwas Schönes in seinem Leben gab, das auf ihn wartete, wenn er wieder nach Hause kam. Sie wußte noch nicht, was sie tun würde, aber ihr würde schon etwas einfallen.
Als sie in die Straße einbog, in der sie wohnte, erblickte sie Caleb. Sie rief seinen Namen und winkte ihm zu. Er richtete sich auf und sah ihr entgegen, aber er winkte nicht zurück.
Sie lief zu ihm und warf die Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung, dann trat er zurück und sagte: »Gehen wir rein?«
Sie ging ihm voraus nach oben. »Möchtest du eine Tasse Tee? Oder wir könnten auch ausgehen und was essen.«
»Wir müssen reden.«
Er sah müde aus. Und da war noch etwas anderes, eine Verschlossenheit vielleicht, die sich im Ausdruck seines Mundes und der Art, wie er sie ansah, spiegelte.
»Caleb«, sagte sie, »ist etwas?«
Er setzte sich aufs Sofa. Zerstreut kraulte er den langen, schmalen Kopf des Hundes. »Ja, weißt du, ich habe mit Mrs. Daubeny gesprochen.«
Ich habe mit Mrs. Daubeny gesprochen . Romy verspürte ein nervöses Flattern im Magen. Sie erinnerte sich so lebhaft an die Frau. Das blonde Haar, das sympathische, offene Gesicht. Wie der Schock ihren Blick verändert hatte, während sie – Romy – gesprochen hatte.
Caleb sagte: »Mrs. Daubeny wußte von dem Verhältnis zwischen ihrem Mann und meiner Mutter. Sie hat mir auch noch einiges andere erzählt, aber dazu kommen wir später. Kurz und gut, ich war bei Daubeny.« Er hielt inne. »Nur eines habe ich ihn zu fragen vergessen. Woher wußte sie Bescheid? Wer hat es ihr gesagt?«
Romy setzte sich neben ihn. Es würde schon nicht so schlimm werden, sagte sie sich. Zuerst würde er ihr böse sein, und das mit Recht, aber am Ende würde er verstehen und ihr verzeihen.
»Weißt du es, Romy?« fragte er, und sie nickte.
»Also, woher wußte sie es?«
Ihr Mund war trocken. »Ich habe es ihr gesagt.«
» Du? «
Leise sagte sie: »Sei mir nicht böse, Caleb.«
»Aber warum?«
»Ich wollte es nicht –«
»Du wolltest es nicht? Wie kam es dann dazu? War es vielleicht ein Unfall? « fragte er sarkastisch. »So eine Art Versprecher?«
»Nein. Nein, natürlich nicht.« Sie krampfte die Hände zusammen.
»Ich hätte nichts sagen sollen, das weiß ich. Und es tut mir wirklich unheimlich leid, Caleb. Es war nach dem Prozeß. Ich wollte zu dir und bin statt dessen in Swanton Lacy gelandet. Mrs. Daubeny war in ihrem Garten, und es sah alles so schön aus, so vollkommen. Ich war so wütend. Ich konnte nicht anders.«
Er sah sie ungläubig an. »Hast du dir auch nur eine Sekunde lang überlegt, was du tatest?« fragte er mit gesenkter Stimme. »Hast du dir überlegt – hat es dich überhaupt interessiert –, wie weh du ihr tun würdest – und wie weh du mir damit tun würdest –«
»Ich wollte dir bestimmt nicht weh tun, Caleb.«
»Ach nein?« Sein Ton war kalt. »Du hast dich aber auch nicht übermäßig bemüht, es zu vermeiden.«
Sie zuckte zusammen. »Gleich nachdem ich es Mrs. Daubeny gesagt hatte, wünschte ich, ich hätte es nicht getan.«
»Tatsächlich?« Er verzog geringschätzig den Mund. »Tja, als ich sie zuletzt gesehen habe, war sie auf dem Weg in die Klapsmühle. Die arme Frau – du hast sie wirklich genau an der schmerzhaftesten Stelle getroffen.«
»Ihre Ehe –« Sie stockte.
»Ich spreche nicht von ihrer Ehe . Ich vermute, die wird für sie nie sehr lustig gewesen sein. Ich meine – fünfundzwanzig Jahre mit Osborne Daubeny, da würde jedem der Spaß vergehen. Ich spreche von Kindern. Die Frau wollte immer Kinder und hat, soviel ich weiß, eine Fehlgeburt nach der anderen erlitten. Aber das wußtest du wahrscheinlich nicht, wie?«
»Ich verstehe nicht, was das hier soll.« Sie sah ihn verständnislos an. »Was haben Kinder damit zu tun?«
»Das werde ich dir gleich sagen.« Er lächelte, aber es war ein bitteres Lächeln. »Wir beide dachten, wir hätten alles rausbekommen. Daubeny hat ein Verhältnis mit meiner Mutter und schmeißt euch aus Middlemere raus, weil er ein Liebesnest braucht, wo er sich in aller Diskretion mit seiner Geliebten vergnügen kann. Fast richtig. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.«
»Caleb«, sagte sie leise. »Bitte. Du machst mir angst.«
»Es stimmt schon, daß Daubeny und meine Mutter was miteinander hatten, nur war es etwas früher, als wir angenommen haben. Mein Vater lebte damals noch, und Mrs. Daubeny, die unbedingt einen Sohn und
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