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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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daß sie ihnen angst machte, diesen Leuten, die so stolz darauf waren, sich nicht der Konvention zu beugen. Dem Tod aber mußte man sich irgendwann beugen; und sie vermutete, daß sie diese Leute an diese unbequeme Wahrheit erinnerte.
    Einige echte Freunde blieben. Frauen, die sie noch aus der Zeit kannte, als sie in Nachtlokalen gearbeitet hatte, Jake Malephant und Romy. In der Zeit des Prozesses gegen Jem Cole, als Romy häufig abwesend gewesen war, war der Betrieb im Hotel nicht so reibungslos gelaufen wie sonst. Jack Starling wurde zusehends nachlässiger und war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Mirabel Plummer hörte sich um, zog vorsichtige Erkundigungen ein und erfuhr, daß er auf der Suche nach einer anderen Stellung war. Hat keine Lust, für Johnnie zu arbeiten, dachte sie zynisch. Das war eines der vielen frustrierenden Dinge, die die Krankheit mit sich brachte – daß sie den Betrieb nicht mehr hundertprozentig unter Kontrolle hatte. Sie dankte dem Himmel für Romy, die ihre Arbeit liebte und eine natürliche Begabung dafür besaß. Romy lernte schnell; sehr rasch hatte sie ihre derben Umgangsformen abgelegt und war dabei, sich in eine schöne und kultivierte junge Frau zu verwandeln. Manchmal machte sich Mirabel Kopfzerbrechen darüber, was aus Romy werden würde, wenn sie nicht mehr war. Ihre Familie war eher eine Belastung als eine Hilfe für sie. Und der Freund, ein gutaussehender Junge, schien ja ganz nett zu sein, aber Mirabel hatte zu Männern noch nie großes Vertrauen gehabt. Für Frauen wie Romy, die intelligent und ehrgeizig waren, aber weder Geld noch Beziehungen hatten, konnte das Leben hart sein. Mirabel wußte das nur zu gut aus eigener Erfahrung.
    Beinahe unmerklich war Romy mehr für sie geworden als eine bloße Angestellte. Mirabel Plummer fand, daß ihr Schützling blaß und dünn aussah; schuld daran war natürlich der Bruder, dieser Unglücksrabe. Sie ließ Kekse und Kuchen zum gemeinsamen Morgenkaffee bringen, um sie ein wenig aufzupäppeln. Und sie bestand darauf, daß Romy eine richtige Mittagspause nahm und die Zeit nutzte, um an die frische Luft zu gehen, ganz gleich, wieviel im Hotel gerade zu tun war. Angesichts von soviel Fürsorge mußte sie über sich selbst lachen. Sie hatte nie Kinder gewollt, sie war nun einmal nicht der mütterliche Typ. Und jetzt tanzte sie um dieses junge Ding herum wie eine alte Glucke. Was noch, Mirabel? fragte sie sich selbst. Ist es nicht ein wenig spät für die Entdeckung, daß du gern eine Tochter gehabt hättest? Denn diese Anteilnahme, diese Zuneigung, diese – verdammt noch mal – Liebe zu einer Straßengöre, die rein zufällig in ihr Leben getappt war, entsprachen überhaupt nicht ihrer Art.
    Die Idee kam ihr zwei Tage nach Romys Rückkehr ins Hotel. Es war später Vormittag, dieser Tage ihre beste Zeit. Romy wollte gerade den Kaffee einschenken. Mirabel legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: »Bitte rufen Sie Mr. Gilfoyle an. Er möchte noch heute zu mir kommen.«
    Sie stand mitten auf dem ausgefahrenen Weg. Caleb bremste; der Lieferwagen rumpelte durch Schlaglöcher. Es war früher Abend. Das Wetter hatte an diesem Tag umgeschlagen, dicke graue Wolken trübten den blauen Himmel. Die Regenschauer hatten die festgetretene, mit Flintstein durchsetzte Erde des Fahrwegs nach Middlemere noch nicht aufgeweicht.
    Es regnete jetzt stark, aber die Frau, die auf der Anhöhe stand, trug nur Rock und kurzärmelige Bluse. Caleb brauchte einen Moment, um zu erkennen, wer sie war. Zunächst glaubte er, sie wäre eine Kundin seiner Mutter, die nach Middlemere gekommen war, um einen Lippenstift oder eine Dose Körperpuder zu kaufen. Dann kniff er die Augen zusammen und erkannte Evelyn Daubeny.
    Er hielt neben ihr an und kurbelte sein Fenster herunter.
    »Mrs. Daubeny?« sagte er. »Ist alles in Ordnung?« Dabei sah er auf den ersten Blick, daß nichts in Ordnung war.
    Ihre Kleider waren klatschnaß vom Regen, und die Haare klebten ihr am Kopf. Er fragte sich, was zum Teufel sie sich dabei dachte, kilometerweit von Swanton Lacy entfernt durch die Gegend zu stapfen. Sie mußte einen Unfall gehabt haben. Oder vielleicht war sie krank.
    Er kletterte aus dem Wagen. »Mrs. Daubeny?« wiederholte er behutsam. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?«
    Er hatte selten mehr als ein paar Worte mit Mrs. Daubeny gesprochen, und dabei war es meistens um den Garten gegangen. Einmal, vor Jahren, hatte er ihr den Reifen

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