Das Erbe des Vaters
hielt noch einen Moment an, dann fiel es ihm wieder ein. Ein Freitagabend. Das gesellige Beisammensein bei der Schulleiterin. »Ach, Alison!« sagte er. »Sie wohnt in der Wohnung über mir. Sie ist Vorschullehrerin.«
»Und sie ist deine Freundin?«
»Nein.« Er dachte an die Kerzen und den Wein, den Ausdruck in Alisons Augen, als er gegangen war. Und er brauchte einen Moment, um sich klarzumachen, was Romy ihm gerade verraten hatte.
»Du warst in Canonbury?«
»Ich wollte mit dir über den Garten sprechen«, sagte sie schnell.
»Aber ich habe dich nicht gesehen –«
»Ich bin wieder nach Hause gefahren.«
Er begriff. »Du dachtest –«
»Ich wollte nicht stören.« Sie schien verlegen zu sein.
Sie ging zum Sideboard und holte eine neue Flasche Brandy heraus. Ungeschickt versuchte sie, den Stöpsel herauszuziehen. Er sagte: »Romy, du brauchst nicht immer alles allein zu schaffen, weißt du das?«
Sie stieß einen kleinen Laut der Ungeduld aus und preßte die Lippen aufeinander. Er trat einen Schritt zu ihr hin, um ihr die Flasche zu öffnen, aber sie wich mit abwehrend erhobener Hand zurück.
»Du mußt gehen, Caleb.«
Er sah sie scharf an, erkannte, daß es ihr ernst war, und nahm seinen Mantel vom Sofa.
Er war schon an der Tür, als sie sagte: »Aber was ist mit dem Garten? Den machst du doch fertig?«
»Natürlich«, antwortete er kurz. »Das ist mein Job. Danach werde ich dich nicht wieder belästigen.«
Sie schloß fest die Augen. »Du mußt gehen, weil ich die Windpocken habe. Das ist alles. Es ist furchtbar peinlich in meinem Alter. Ich dachte, ich hätte sie schon gehabt, aber das kann nicht sein. Jedenfalls habe ich jetzt überall diese scheußlichen roten Punkte.«
»Windpocken …«
»Lach nicht.«
»Das würde mir nie einfallen. Arme Romy. Aber ich habe sie zum Glück schon gehabt.«
»Bist du sicher?«
»Absolut.« Er ging zu ihr. »Kann ich irgend etwas für dich tun?«
Sie hielt ihm lachend die Brandyflasche hin. »Du könntest mir die verdammte Flasche aufmachen.«
17
D IE B RASSERIE WURDE EIN E RFOLG . Schon einen Monat nach ihrer Eröffnung waren täglich alle Tische besetzt. Einmal kam ein Filmschauspieler mittleren Kalibers zum Essen, und am nächsten Tag wurde die Brasserie im Trelawney im Tatler und in der Klatschspalte der Daily Mail erwähnt. Sie schoben einen Stutzflügel in eine Ecke des Saals und engagierten einen Pianisten. Das gute Wetter hielt an: Mittags stellten sie ein halbes Dutzend Tische auf die Terrasse. Wenn Romy in ihrem Büro an der Arbeit saß, konnte sie von unten Gelächter, Musik und das Klimpern von Gläsern hören.
Dieser Erfolg ermutigte sie, sich an die Renovierung des Hotels zu wagen. Innenarchitekten entwarfen Pläne für Ausstattung und Farbgebung; Handwerker begannen, die schweren gußeisernen Heizkörper herauszureißen und Tapeten und Tünche aus den dreißiger Jahren von den Wänden zu entfernen. Romy sah im Geist schon, wie es sein würde, wenn alles fertig war. Sie dachte an Bunny Napiers Haus mit den fließenden, cremefarbenen Vorhängen und den Lichtsprenkeln auf den hellen Böden.
Doch manchmal fiel es ihr in diesem Sommer schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Die Wärme, der blaue Himmel, das Klavierspiel lockten. Manchmal verlangte es sie danach, aus dem Büro in den Garten hinunterzugehen, den Caleb für sie angelegt hatte, sich ins Grüne zu setzen und von der Sonne wärmen zu lassen. Oder sie schloß, am Schreibtisch sitzend, die Augen und träumte sich in eine Strandlandschaft am Meer. Sie konnte beinahe das Salz in der Luft riechen und das sachte Murmeln der Wellen hören. Wenn sie dann die Augen wieder öffnete und den Blick auf die Schreibmaschine und den Stapel Rechnungen und Briefe richtete, fühlte sie sich merkwürdig außer Fassung, desorientiert, als hätte sie plötzlich erkannt, daß sie am falschen Ort war.
Seit einem Jahr lebte Jem in einem kleinen Steinhaus in der Nähe von Grassington in Yorkshire. Das Häuschen stand allein am Ende eines bewaldeten Weges. Es hatte unten eine Küche und ein Wohnzimmer und oben zwei Schlafzimmer. Im Garten zog er Gemüse, und im Stall hinter dem Haus hielt er ein Schwein und Hühner.
Romy besuchte ihn im September. Danny hatte mehrere Wochen bei seinem Vater verbracht. Am Sonntag nachmittag machten sie ein Picknick, und Jem ging mit seinem kleinen Sohn an den Fluß, um ihm das Fischen zu zeigen. Weiter stromaufwärts spielten fünf oder sechs Kinder auf den
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