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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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riechen, ehe man das Haus erreichte.« Martha sah jünger aus und hübscher, wenn sie lächelte. »Einmal habe ich mir eine zum Anstecken abgepflückt. Niemand hat mich gesehen. Eine Rose konnten sie mir ja wohl gönnen.«
    Dann veränderte sich ihre Miene. Abrupt nahm sie den überquellenden Aschenbecher und das leere Glas und stand auf. »Aber das ist alles lang vorbei«, murmelte sie. »Am besten, man vergißt es. In der Vergangenheit rumzuwühlen bringt nichts.«
    In dieser Nacht träumte Romy von Middlemere. Das Haus war weder so, wie sie es aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte, noch so, wie sie es 1953 gesehen hatte, als sie dort Caleb Hesketh begegnet war. In ihrem Traum hatte das Wäldchen am Hang sich zu einem großen Wald ausgedehnt, der das ganze Tal bedeckte. Groß und mächtig umschlossen die Bäume das Haus. Wilder Wein bedeckte die Mauern und überzog mit seinen kleinen Saugnäpfen, die wie Klebstoff hafteten, die Fensterscheiben, so daß kein Licht mehr ins Haus drang. Die Räume in seinem Inneren hatten sich zu höhlenartigen Gewölben geweitet, deren Mauern bröckelten. Unter zersprungenen Steinplatten gähnten dunkle Abgründe, die bis in die innersten Tiefen der Erde reichten. Hohe Mauern, von denen Farbe und Mörtel abgefallen waren, ragten in den schwarzen Himmel hinein, und in den Korridoren standen Wasserpfützen. Ein saurer Geruch nach Humus, Verfall und fauligem Wasser hing in der Luft. Es war, als wollte die Erde das Haus verschlingen, indem sie durch seine Fundamente drang und einen Stein nach dem anderen sprengte.
    Als sie erwachte, waren ihre Augen voller Tränen. Ein Grauen erfüllte sie und das Gefühl von etwas Unerledigtem. Sie versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was genau Caleb Hesketh damals, vor zwei Jahren, zu ihr gesagt hatte. Beharrlich kratzte sie an der Erinnerung an die kurze, zornige Begegnung und entsann sich schließlich, daß Caleb ihr erzählt hatte, er habe mit Annie Paynter gesprochen. Jetzt fiel ihr plötzlich ein, daß sie sich im grünen Schrank versteckt und der Stimme von Annie Paynters Vater gelauscht hatte, der aus dem Garten heraufgerufen hatte. Jahrelang hatte sie danach einen tiefen Groll gegen Mr. Paynter mit sich herumgetragen. Aber der Name Osborne Daubeny war ihr bis zu dem Moment, als Caleb Hesketh ihn ausgesprochen hatte, nicht bekannt gewesen. Middlemere gehört Osborne Daubeny . Der Pachtherr Ihres Vaters . Sie versuchte, sich ihn vorzustellen, diesen Tyrannen, dem sie nie begegnet war, sah ihn als den rotgesichtigen, schmerbäuchigen Großgrundbesitzer, der großspurig auf seinem Besitz umherstolzierte. Sie fragte sich, wie sein Haus aussah, Swanton Lacy mit dem herrlichen Park, der ihre Mutter vor langer Zeit begeistert hatte.
    Sie setzte sich im Bett auf und wickelte sich, fröstelnd in der milden Augustnacht, in ihre Steppdecke ein. Na gut, dachte sie. Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
    Am Morgen vor Dennis’ erwarteter Rückkehr fuhr Romy aus Stratton ab und begab sich auf eine umständliche Reise mit Zug und Bus, die sie in nördlicher Richtung durch Hampshire bis zur Grenze von Berkshire führte. In den vergangenen Tagen waren die Temperaturen gestiegen, und die Luft war heiß und schwül.
    Als sie Swanton St. Michael erreichte, hatten sich Wolken zusammengezogen, die, zu gewaltigen Türmen gestapelt, den blauen Himmel verdunkelten. Sie fragte in einem Laden nach dem Weg und ging los, aus dem Dorf hinaus.
    Die Landstraße war zu beiden Seiten von niedrigem Gehölz und Buschwerk gesäumt; dahinter konnte sie umgepflügte Felder erkennen. Nicht weit entfernt mühten sich Männer, eine Plane über einen Heuhaufen zu spannen. Das schwarze Material bauschte sich wild flatternd im aufkommenden Wind.
    Es begann zu regnen, als sie eine Hügelkuppe überschritt und den Abstieg ins Tal in Angriff nahm. Die ersten Tropfen hinterließen dicke schwarze Punkte auf dem schmalen Asphaltstreifen der Straße. Eine Grasnabe, die von Brennesseln und Ampfer überwuchert war, trennte die Straße vom Graben, und wenn Romy gelegentlich ein Auto entgegenkam, mußte sie mit ihrem kleinen Koffer in der Hand auf den Grasstreifen springen.
    Die Straße wand sich in zahllosen Biegungen, gabelte und verzweigte sich wiederholt. Büsche und Gehölz wichen hohen Buchen und Ulmen. Der Himmel hatte sich zu einem violettstichigen Grau verdunkelt, in den Gräben und an den Straßenrändern begann sich Wasser zu sammeln. Sie war nicht sicher, daß sie die

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