Das Erbe des Vaters
zusammenzuschieben und mit einem Finger ungeduldig gegen die Knöchel der anderen Hand zu klopfen, die sie immer schon gereizt hatte. Jetzt machte es sie wütend.
»Ich denke, es dürfte jedem, der uns kennt, sonnenklar sein«, sagte sie mühsam beherrscht, »daß wir uns ein Leben wie früher schon lange nicht mehr leisten können. Du machst dir selbst etwas vor, Osborne, wenn du etwas anderes glaubst.«
»Das ist nur eine vorübergehende Situation.«
»Meinst du? Bei den Maxeys war sie nicht vorübergehend und bei den Longvilles auch nichts. Warum soll es bei uns anders sein? Richard Maxey verdient sich sein Geld jetzt mit dem Betrieb einer Autowerkstatt. Und Hugo Longville hat sein Elternhaus abreißen lassen. Also, warum sollte es bei uns anders sein?«
»Weil wir anders sind «, gab er zurück. »Wir sind Daubenys.«
Damit ging er hinaus. Evelyn blieb am Tisch sitzen und starrte auf ihren Teller. Sie verspürte eine kalte, unversöhnliche Abneigung, die ihr weit unerbittlicher und dauerhafter zu sein schien als Zorn. Zorn konnte mit Leidenschaft einhergehen; Abneigung war, einmal entstanden, nicht so leicht auszurotten.
Sie hatten sich wieder versöhnt. Oder, genauer gesagt, sie hatten so getan, als hätte die Auseinandersetzung nicht stattgefunden. Ein paar Tage später hatte Osborne sie abends im Bett geliebt. Evelyn hatte, wie das ihre Gewohnheit war, im Geist die Sommerbepflanzung des Gartens geplant. Gelbe Begonien, weißes Ageratum, blaue Lobelien, dachte sie, während Osborne keuchte und zuckte.
Im folgenden Monat war sie nach einem Bridgeabend in Newbury auf der Heimfahrt, als sie auf einer schmalen, kurvenreichen Landstraße plötzlich die Herrschaft über den Wagen verlor. Er schleuderte und rutschte ins Gras am Straßenrand. Als er zum Stehen kam, blieb sie einen atemlosen Moment lang reglos sitzen. Ihre Hände am Lenkrad zitterten heftig, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie sich etwas gefaßt hatte, stieg sie aus und inspizierte den platten Vorderreifen.
Es war dunkel. Bei ihrem Aufbruch am Abend war es trocken gewesen, und sie hatte voll Optimismus ihren Regenmantel zu Hause gelassen. Jetzt regnete es in Strömen. Das nächste Dorf war fast vier Kilometer entfernt. Die Vorstellung, allein durch die Finsternis zu marschieren, machte ihr angst. Neben dem Prasseln des Regens konnte sie Rascheln im Unterholz hören und Flügelschlag oben in der Luft. Der Ersatzreifen lag zwar, wie es sich gehörte, in der Versenkung im Kofferraum, aber sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihm anfangen sollte. Bei Reifenpannen hatte immer Osborne oder, vor dem Krieg, einer der Angestellten den Wagen wieder flottgemacht. Einmal, vor ungefähr fünf oder sechs Jahren, hatte der Sohn dieser gräßlichen Hesketh ihr den Reifen gewechselt; als sie jetzt versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was genau er getan hatte, erinnerte sie sich nur der flinken und sachkundigen Arbeit des Jungen, seines unbedarften, hübschen Gesichts und des Lächelns, mit dem er sie angesehen hatte, als er fertig gewesen war – ein gewinnendes Lächeln, dem sie jedoch, mit dem Ruf seiner Mutter vertraut, instinktiv mißtraut hatte. Aber wie hatte er den Reifen gewechselt? Evelyn unternahm einen halbherzigen Versuch, die Schrauben aufzudrehen, aber sie rührten sich nicht.
Sie hörte ein Auto den Hügel herunterkommen. Scheinwerferlicht tauchte die Straße in Helligkeit; ein Bentley hielt an, die Fahrertür wurde geöffnet, der Mann, der ausstieg, war Hugo Longville.
»Ach, Hugo!« rief sie. »Bin ich froh, daß Sie hier sind.«
»Was ist denn passiert?«
Sie erklärte es ihm. Er sah sich den Reifen an und pfiff durch die Zähne. »Platt wie eine Flunder. Aber keine Sorge, das werden wir gleich haben.« Er sah sie an. »Wie fühlen Sie sich, Evelyn? Alles in Ordnung?«
»Ich bin ganz schön erschrocken«, sagte sie.
»Das kann ich verstehen. Sie Arme.« Er nahm sie kurz in den Arm. »Und Sie werden klatschnaß – das Wetter ist nicht gerade ideal, um irgendwo in der Prärie festzusitzen. Setzen Sie sich doch in meinen Wagen, während ich das hier erledige.«
»Ich würde gern zuschauen«, entgegnete sie. »Ich sollte doch eigentlich wissen, wie man einen Reifen wechselt. Schließlich kann ich nicht erwarten, daß Sie mich jedesmal retten, Hugo.«
Er öffnete den Kofferraum seines Bentleys. »Hier.« Er reichte ihr eine Taschenflasche. »Nehmen Sie einen Schluck, das wird Ihnen guttun. Und schlüpfen Sie da
Weitere Kostenlose Bücher