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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Wegbeschreibung richtig im Kopf behalten hatte. Links oder rechts an der ersten Gabelung? Die zweite oder die dritte Abzweigung nach der Brücke?
    Auf einmal hörte die Asphaltdecke auf, die Straße wurde zu einem unbefestigten Fahrweg. Die Pfützen in der tief durchfurchten kalkigen Erde hatten die Farbe von Milchschokolade. Ein Donnerschlag krachte, und sie schrie unwillkürlich auf. Mit den glatten Sohlen ihrer Schuhe rutschte sie im Matsch, und der Regen durchweichte ihren leichten Mantel und das Baumwollkleid darunter. Der Mantel war zu dünn, die Schuhe ungeeignet für Wanderungen über Land, und einen Schirm hatte sie auch nicht. Irgendwie, dachte sie mißmutig, habe ich immer die falschen Sachen an.
    Sie blieb stehen und blickte über die Felder. Nirgends in den dichten Regenschleiern konnte sie ein hochherrschaftliches Haus mit Rosengarten entdecken. Sie wußte, daß sie sich verlaufen hatte. Hoffnungslos. Niemals würde Mr. Daubeny in seiner blitzenden Luxuslimousine auf diesem erbärmlichen Matschweg zu seinem Prachthaus fahren. Sie stellte ihren Koffer ab und setzte sich darauf. Der Regen floß ihr in den Kragen und strömte an ihren nackten Beinen hinunter, während sie dasaß und zu den Feldern hinausblickte.
    Wie viele von ihren Freunden, überlegte sie wütend, hätten sich wohl auf so ein idiotisches Unternehmen eingelassen? Die zarte, kindliche Psyche oder die selbstsichere Susie? Teresa oder Olive, Jake oder Camille? Leute wie Magnus und Tom wollten zu gern als Außenseiter gesehen werden. Leute wie sie selbst wollten nur akzeptiert werden. Sie wünschte sich schöne Kleider und ein Zuhause, das ihr keiner wegnehmen konnte. Zwischen ihren und Toms Sehnsüchten schien ihr eine tiefe Kluft zu gähnen.
    Ein zackiger Blitz zerriß den Himmel, gefolgt von dröhnendem Donner. Sie stand auf, nahm ihren Koffer und machte sich auf den Rückweg. Sie brauchte nur immer in der entgegengesetzten Richtung abzubiegen wie auf dem Hinweg, sagte sie sich, dann würde sie schnell wieder in Swanton St. Michael landen.
    Aber die schmalen, gewundenen Straßen brachten sie durcheinander, und bald sah sie sich rettungslos verloren durch dieses Labyrinth von Hügeln und Tälern, Wäldern und Feldern irren. Der Himmel war dunkel, ohne Farbe, und ihre nassen Finger rutschten immer wieder am Koffergriff ab.
    Sie gelangte zu einer Kreuzung, schaute erst die eine Straße hinunter, dann die andere, und versuchte zu entscheiden, welche sie nehmen sollte. Hinter sich hörte sie ein Auto kommen. Hastig drehte sie sich herum und winkte, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Etwa zehn Meter weiter kam der blaue Lieferwagen zum Stehen. Romy packte ihren Koffer und rannte los.
    Und erblickte, als sie in die Fahrerkabine des Lieferwagens hineinspähte, das Gesicht von Caleb Hesketh.
    Er sprach zuerst.
    »Sie sind das!« sagte er und öffnete die Tür auf der Mitfahrerseite. »Steigen Sie ein. Lieber Himmel, Sie müssen ja bis auf die Haut naß sein.«
    Sie stieg ein. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und sie hatte heftiges Herzklopfen. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich mache ihr ganzes Auto naß.«
    »Was um alles in der Welt tun Sie hier draußen?« fragte er. »Wollten Sie nach Middlemere?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was dann?« fragte er. »Wohin wollten Sie?«
    »Nach Swanton Lacy. Ich habe Mr. Daubenys Haus gesucht.«
    Er lachte ein wenig geringschätzig. »Da sind Sie völlig verkehrt gegangen. Es liegt auf der anderen Seite vom Dorf.«
    Sie kam sich dumm vor. Schweigend starrte sie zum Fenster hinaus in den Regen.
    Etwas freundlicher sagte er: »Diese vielen kleinen Straßen können einen völlig irre machen, nicht? Ich verfahre mich heute noch manchmal. Hier.« Er nahm ein altes Handtuch aus dem Handschuhfach. »Ich lege es über die Sitze, wenn ich Pflanzen befördere, aber es ist ganz sauber. Sie können sich die Haare damit trocknen, wenn Sie wollen.«
    Vornübergebeugt begann sie, sich die Haare zu frottieren. Verstohlen beobachtete sie Caleb. Er hatte ein markantes Gesicht mit hoher Stirn, stark hervortretenden Wangenknochen und einer scharf hervorspringenden gebogenen Nase. Sein dunkles Haar war vom Regen gekräuselt. Zuerst glaubte sie, seine Augen wären braun, aber dann sah sie, daß sie von einem sehr tiefen Graublau waren. Im Moment blickten sie konzentriert, ziemlich streng.
    »Wenn Sie mich an der Bushaltestelle absetzen würden«, sagte sie. »Ich muß nach London zurück.« Sie sah auf ihre Uhr.

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