Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
»Es müßte bald ein Bus kommen.«
    Die Scheibenwischer fegten brummend den Regen vom Glas; im Nu waren sie inmitten der strohgedeckten kleinen Häuser von Swanton St. Michael. Caleb hielt am Straßenrand an. Als Romy nach der Türklinke griff, sagte er: »Es schüttet immer noch. Warten Sie lieber hier drinnen, bis der Bus kommt.«
    »Nein, nein, ich möchte Sie nicht aufhalten.«
    »Jetzt seien Sie nicht albern. Sie können sich hier nirgends unterstellen.« Er sah sie neugierig an. »Sie hassen mich doch nicht immer noch?«
    Sie wurde noch verlegener und schüttelte mit einer kurzen Bewegung den Kopf. »Als Sie damals ins Hotel kamen –«
    »Was nicht gerade eine gloriose Idee von mir war!«
    »Wissen Sie, ich hatte bis dahin noch nie von Mr. Daubeny gehört. Alles, was Sie gesagt haben … Später habe ich Annie Paynter im Telefonbuch gesucht, aber ich habe sie nicht gefunden. Es gab massenhaft Painters mit I, aber kaum welche mit Ypsilon. Und sie legte immer großen Wert auf das Ypsilon.«
    »Sie war damals verlobt«, sagte er. »Wahrscheinlich ist sie inzwischen verheiratet und trägt einen anderen Namen.«
    »Oh.« Sie ärgerte sich, daß sie darauf nicht von selbst gekommen war. »Natürlich.«
    »Und ihr Vater ist damals umgezogen. Ich weiß nicht mehr, wohin.«
    Plötzlich hatte sie so viele Fragen an ihn. Hastig sagte sie: »Wie ist dieser Mr. Daubeny überhaupt? Und Annie – was hat sie Ihnen über Middlemere erzählt? Und was haben Sie gemeint, als Sie sagten, Annies Vater wäre von Mr. Daubeny abhängig gewesen?«
    Er warf einen Blick in den Seitenspiegel. »Da kommt Ihr Bus.«
    Scheinwerfer schnitten orangefarbene Kreise in den Regen.
    Sie kletterte aus dem Lieferwagen. Etwas mußte sie ihm noch sagen. Sie sprach schnell, um es hinter sich zu bringen. »Ich war ziemlich gemein zu Ihnen, als Sie ins Hotel gekommen sind. Ich – ich hatte Sorgen. Aber das ist keine Entschuldigung. Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Was ich über Ihre Mutter gesagt habe, war unverzeihlich.«
    »Aber wahr«, sagte er. Als der Bus vor der Haltestelle abbremste, reichte er ihr ihren Koffer. Sein Lächeln erreichte die Augen nicht. Leise wiederholte er: »Es war wahr.«
    Der Busfahrer nahm ihr den Koffer ab, als sie einstieg. Auf der Plattform stehend, rief sie: »Caleb, wegen Anita Paynter –«, und hörte ihn zurückrufen: »Ich melde mich. Sind Sie noch im Hotel?«
    Der Bus fuhr an. Durch die nassen, schmutzverschmierten Fensterscheiben wirkten seine Gesichtszüge verwischt, als befände er sich unter Wasser. Noch einmal rief sie seinen Namen. Aber er war schon im dicht fallenden Regen verschwunden, und als sie winkte, wußte sie nicht, ob er sie noch sehen konnte.

8
    C ALEB WOHNTE JETZT in einem möblierten Zimmer in Reading. Seine Zimmerwirtin war eine Mrs. Talbot mit einer sechzehnjährigen Tochter namens Heidi. Einen Mr. Talbot schien es nicht zu geben. Caleb stellte sich vor, daß er neben seiner massigen, ewig mißbilligenden Ehefrau und seiner mürrischen Tochter allmählich zu nichts verblaßt war.
    In Calebs Zimmer standen ein Bett, ein Tisch mit Stuhl, eine Kommode und ein Paraffinofen zum Heizen, dessen Gebrauch streng rationiert war. Das Badezimmer teilte er sich mit der Familie; er hatte es sich angewöhnt, früh um sechs aufzustehen, um peinliche Zusammentreffen mit den Damen Talbot in ihren rosaroten Chenillemorgenröcken zu vermeiden. Mrs. Talbot hatte eine Art, ihn anzusehen, als verdächtigte sie ihn, des Nachts in schmutzigen Magazinen zu blättern oder gar noch Schlimmeres zu tun.
    Sehr bald, nachdem er von dem früheren Verhältnis seiner Mutter mit Osborne Daubeny erfahren hatte, war er von zu Hause weggegangen. Er und seine Mutter hatten sich durchaus freundschaftlich getrennt, aber seit dem Tag bestand doch eine Distanz zwischen ihnen, die die Zeit noch nicht wieder ganz aufzuheben vermocht hatte. Er hatte sich bemüht, nicht über seine Mutter und Daubeny nachzudenken, und das war ihm im großen und ganzen auch recht gut gelungen. Nur wenn ihm gar nichts mehr eingefallen war, um sich abzulenken – auf einer langen Reise, zum Beispiel, oder wenn er in der Zeit seiner Anstellung bei der Park- und Gartenverwaltung tausend Geranien eintopfen mußte –, waren seine Gedanken ins Wandern gekommen und hatten sich diesem unangenehmen kleinen Stück Vergangenheit zugewandt.
    Nachdem er bei der Firma Broadbent aufgehört hatte, hatte er zunächst sechs Monate für die Park- und

Weitere Kostenlose Bücher