Das Erbe des Zauberers
hast doch gesagt, daß der Besen nur des Nachts fliegt.«
Sie beobachtete die Landschaft unter ihnen. Sie wirkte nicht gerade gastfreundlich, sah scharfkantig und irgendwie … erwartungsvoll aus.
»Ich weiß genau, was ich tue, kleines Fräulein«, erwiderte Oma Wetterwachs scharf, schloß die Hände fester um den Stiel und versuchte sich so leicht wie möglich zu machen.
Es wurde bereits erwähnt, daß das Licht der Scheibenwelt recht langsam und träge ist. Der Grund: ein weites und starkes Feld aus Magie.
Mit anderen Worten: Die Morgendämmerung setzt nicht so plötzlich ein wie auf anderen Welten. Der neue Tag beginnt eher zögernd, strömt mit der typischen Eile von dickflüssigem Sirup über die Landschaft, vergleichbar mit den ersten Ausläufern der Flut, die sich über einen breiten Strand tasten und behutsam Anspruch auf die Sandburgen des vergangenen Abends erheben. Das Morgengrauen neigt dazu, hohen Bergen auszuweichen. Wenn Bäume dicht nebeneinander stehen, tropft es arg mitgenommen aus Wäldern und hinterläßt breite Streifen der Dunkelheit.
Ein Beobachter, der sich in ausreichender Höhe befindet – zum Beispiel jemand, der auf einer Zirrus-Schichtwolke in den obersten Bereichen der Atmosphäre steht –, beschriebe sicher begeistert, mit welcher glitzernden Pracht sich das Licht auf der Scheibenwelt ausbreitet, wie es über weite Ebenen springt und an Felshängen hinaufkriecht, wie …
Nun, andererseits gibt es bestimmt Beobachter, die angesichts einer solchen Schönheit darauf hinweisen, daß schweres Licht absurd ist und man es gar nicht sehen könnte, wenn es tatsächlich so etwas gäbe. Woraufhin man erwidern sollte: Und wie kommt es dann, daß du auf einer Wolke stehst, hm?
Zynismus? Mag sein. Aber wie dem auch sei: Unten, dicht über der Oberfläche der Scheibenwelt, schwebte ein Hexenbesen mit zwei Passagieren dahin und versuchte, der zurückweichenden Nacht zu folgen.
»Granny!«
Der Tag flutete ihnen entgegen. Die Felsen weiter vorn schienen Feuer zu fangen, als das Licht über sie hinwegspülte. Oma Wetterwachs spürte, wie der Stiel unter ihr erzitterte, und voller Unbehagen beobachtete sie die unter ihnen fliehenden Schatten. Erschreckend rasch näherten sie sich dem Boden.
»Was passiert, wenn wir aufprallen?«
»Kommt ganz darauf an, ob wir weiche Steine finden«, erwiderte Granny. Ihre Stimme klang zumindest ein wenig besorgt.
»Wir verlieren immer mehr an Höhe! Können wir denn gar nichts dagegen unternehmen?«
»Was hältst du davon, wenn wir uns Flügel wachsen lassen?«
»Granny«, sagte Esk in jenem verzweifelten und erstaunlich erwachsenen Tonfall, den Kinder benutzen, um eigensinnige alte Leute zu schelten, »ich glaube, du verstehst nicht ganz. Ich möchte nicht auf den Boden schlagen. Ich habe überhaupt nichts gegen ihn.«
Granny leitete die gedankliche Rasterfahndung nach einem geeigneten Zauberspruch ein und bedauerte zutiefst, daß Felsen gegen Pschikologie immun waren. Ihr entging die diamantene Schärfe in Eskarinas Stimme, und deshalb ließ sie sich zu einer Antwort hinreißen, die sie gleich darauf bedauerte: »Sag das dem Besen!«
Unter anderen Umständen wären sie tatsächlich aufgeprallt. Oma Wetterwachs erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, den Hut festzuhalten und tief Luft zu holen. Der hölzerne Stiel unter ihr erzitterte mehrmals, neigte sich nach vorn, und …
… die Landschaft sauste konturlos unter ihnen hinweg.
Eigentlich schloß sich ein sehr kurzer Flug an, aber Granny wußte, daß sie sich bis an ihr Lebensende daran erinnern würde. Sie befürchtete, daß er sich in einen Alpdruck verwandelte, der sich vorzugsweise um drei Uhr morgens in ihre Träume stahl, nach einer zu schweren Mahlzeit am Abend. Einige Dinge brannten sich fest in ihr Gedächtnis ein: die bunten Regenbogenfarben, die an ihr vorbeisausten, das schreckliche Gefühl, plötzlich dreimal so schwer zu sein wie noch vor wenigen Augenblicken, der Eindruck, daß irgend etwas Großes und sehr Schweres auf dem Universum hockte und es langsam zerquetschte.
Sie entsann sich auch an Esks fröhliches Lachen, daran, daß sie vergeblich danach trachtete, die rasende Geschwindigkeit des Besens um mindestens neunundneunzig Prozent zu reduzieren: Ganze Gebirge flitzten mit einem jähen Wusch unter ihnen hinweg.
Sie erschien voraus: eine gezackte dunkle Linie, die dem gnadenlosen Morgen zu entkommen versuchte. In entsetzter Begeisterung stellte Granny fest, wie
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