Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
dem Schlamm aufragende Tür erreicht hatte, war er über und über mit glitschiger Erde verschmiert. Doch es gab keinen Zweifel. Dies war die Tür ihres Hauses. Wild grinste ihn der Eberkopf an, den sein Großvater Laragos lange vor seiner Geburt in das Holz geschnitzt hatte. Der Eberkopf war das Zeichen der Jäger und alle, die diesem Tagewerk nachgingen, hatten als Zeichen ihrer Berufszugehörigkeit einen geschnitzten Tierkopf an der Tür. Doch weil jeder der Jäger des Dorfes und der zwei Weiler ein anderes Tier für seine Tür gewählt hatte, wusste Tankrond, dass sein Elternhaus nicht mehr war.
Erst in diesem Moment kam ihm der Gedanke an seine Eltern. Vielleicht hatte er ihn bisher einfach verdrängt, indem er sich nur auf die Tür konzentriert hatte. Er wusste, dass seine Eltern noch im Haus gewesen waren, als er es verlassen hatte. Mit einem Mal fühlte er sich sehr einsam ...
Dieses Gefühl der Einsamkeit verspürte er nun wieder, während er die Straße hinuntersah, die zum Hafen von Schwarzenberg führte. Er lehnte sich fester an die Mauer, an der er stand, und dachte wieder an die Prinzessin, als seine Gedanken durch Hufgetrappel unterbrochen wurden. Eine Gruppe von Reitern kam in leichtem Galopp die gepflasterte Straße hochgeritten. Er hatte diesen Platz an der Mauer nur deshalb ausgewählt, weil er von hier aus die Ankunft der Gesandtschaft der Vanäer aus sicherer Distanz beobachten konnte, ohne selbst sofort gesehen zu werden. Einige Kastanienbäume entlang der Straße gaben ihm Schutz, er konnte jedoch ohne Schwierigkeiten zwischen ihnen hindurchschauen. Dann kamen die Reiter auch schon heran. Sie trugen prächtige Rüstungen und lange Standarten, an denen die Banner des Volkes von Maladan im Winde wehten: der Lorbeerkranz auf weißem Grund. Tankrond spürte beim Anblick der Banner und der hochgewachsenen Soldaten auf ihren Pferden eine Aura des Erhabenen. Dies mussten die Herolde sein, welche dem Baron von Schwarzenberg das Kommen ihrer Prinzessin ankündigten.
Nun konnte es nicht mehr lange dauern und Tankrond würde jene, nach deren Anblick er sich seit nunmehr fünf Jahren gesehnt hatte, erblicken. Wieder beschlich ihn Zweifel an seinem Tun. Würde sie sich noch an ihn erinnern können? Am Hafen hätte es viele bessere Plätze gegeben, an denen er nach ihr hätte Ausschau halten können. Doch er hatte diesen Ort gewählt, um die Begegnung, die ja auch in einer Enttäuschung für ihn enden konnte, weiter zu verzögern. Langsam begann er, die Zweifel, die ihn umgaben, abzuschütteln. Was konnte ihm schon passieren? Mehr als Gleichgültigkeit ihrerseits war schließlich nicht zu erwarten. Und sollte dies so sein, dann war es eben so – und er konnte daran auch nichts ändern. Aber er wollte nicht wie ein Feigling weiter hinter den Bäumen auf ihre Ankunft warten, dieses Verhalten wurde ihm nun langsam selbst zuwider.
Er nahm allen Mut zusammen, stieß sich von der Mauer ab und lenkte seine Schritte zur Straße. Doch sein Mut sank schnell wieder, als er erkannte, dass an jener Stelle außer ihm niemand sonst war. Zwar säumte viel Volk die Straße zur Burg, doch standen alle auf der gegenüberliegenden Seite. Hier standen die nächsten Zuschauer mindestens einhundert Schritte entfernet. Noch ehe er sich entschließen konnte, zu ihnen hinzugehen, um so in der Menge Schutz zu finden, sah er seine Cousine Fenja, die mit ihrem Bruder Arumar auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und ihm freudig zuwinkte. Noch ehe er ihren Gruß erwidern konnte, erkannte er, dass sie ihm gar nicht zuwinkte, sondern ihm bedeutete, nach Süden zu schauen. Als er den Kopf dorthin wandte, bekam er eine Gänsehaut. Der Zug der Prinzessin näherte sich. Nun gab es kein Zurück mehr, er musste bleiben, wo er stand.
Wie er es erwartet hatte, ging die Prinzessin dem Zug der Anyanar voraus. Doch die Anmut, mit der sie einherging, verschlug ihm den Atem. Am liebsten wäre er nun weit fort von diesem Ort gewesen. Plötzlich fühlte er sich sehr klein und schrecklich anmaßend, wenn er hoffte, in ihrem Herzen vielleicht einen Platz eingenommen zu haben. Mittlerweile war der ganze Zug der Vanäer in seinem Blickfeld. Doch er hatte nur Augen für Valralka, wie sie – wie nicht von dieser Welt – vor ihren Untergebenen einherschritt. Als sie vielleicht noch fünfzig Schritte von ihm entfernt war, glaubte er, dass sie ihn erkannt hatte. Sofort zog ihm eine Schamesröte ins Gesicht. Sie war nicht mehr das kleine
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