Das Erbe in den Highlands
betrachtete das Mauerstück unter seinen Fingern und dachte daran, wie Genevieve genau hier an der Mauer gelehnt und ihm die geheimsten Träume ihrer Seele offenbart hatte. Und irgendwie, jenseits aller Vernunft und aller Hoffnung, war er zu einem Teil dieser Träume geworden. Wie innig hatte er sie da geliebt! Und wie ernst war es ihm mit seinen Schwüren gewesen, sie glücklich zu machen, dafür zu sorgen, dass es ihr an nichts mangelte, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihr Sicherheit zu bieten. Doch was nützten diese Schwüre jetzt? Nie würde sie etwas von ihm annehmen, was bedeutete, er hatte ihr nichts zu geben.
Außer Wiedergutmachung.
»Mylord?«
Mit müdem Blick wandte sich Kendrick seinem Haushofmeister zu. »Etwas gehört?«
»Nay, Mylord. Ich hatte gehofft, Nazir würde ihr folgen und käme mit einem Bericht zurück.«
»Nazir sagte, und ich zitiere: >Ich kann Euch im Moment nicht besonders leiden, Master. Ich glaube, ich werde die Mistress eine Weile im Auge behalten.< Er kommt erst zurück, wenn sie es tut.«
»Wünscht Ihr sie zurück?«
»Barmherziger Gott im Himmel, Worthington, bist du toll geworden?«, brüllte Kendrick und hatte das Gefühl, jedes seiner Worte triefe vor Kummer als sei es Blut. »Natürlich will ich sie zurück!«
»Vielleicht wäre es nicht unangebracht, wenn Ihr nach ihr suchtet.«
Kendrick wandte sich mit versteinerter Miene dem Meer zu. »Sei nicht grausam, Worthington. Das passt nicht zu dir.«
»Damit wollte ich nicht vorschlagen, die Burg zu verlassen, Mylord. Wie heißt noch diese Werbung, die sie in den Kolonien haben? Lassen Sie Ihre Finger das Gehen erledigen?«
Mit diesen Worten machte Worthington auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Kendrick schlug sich an die Stirn und verfluchte seine Dummheit. Wieso hatte er daran nicht gedacht? Er drehte sich um und lief zur Tür des Wehrgangs.
»Verdammt, Worthington, warte! Ich kann doch nicht selbst wählen!«
Genevieve schleppte ihre Einkaufstüten zu einem Taxi und gestattete dem Mann dankbar, ihr zu helfen. Als alle ihre Einkäufe verstaut waren, sank sie auf den Rücksitz und stöhnte über ihre protestierenden Muskeln. Einkäufen war Knochenarbeit.
Nachdem sie dem Fahrer ein Trinkgeld gegeben hatte, das ihm ein breites Grinsen entlockte, ließ sie die Einkäufe nach oben schicken und ging in die kleine Teestube. Früher, in den Staaten, war sie nicht besonders erpicht auf
Tee gewesen, doch hier in England hatte sie tatsächlich Gefallen daran gefunden. Nur eines behagte ihr nicht daran - Tee entspannte sie so, dass sie zum Nachdenken kam. Und Nachdenken war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung, da es unweigerlich zu Erinnerungen führte und diese wiederum zu Kummer. Zumindest war das anfangs so gewesen.
Als sie vor einer Woche in London ankam, war sie verbittert und verletzt gewesen. Und auch nachdem sie Tausende von Pfund für Kleidung und Schmuck ausgegeben hatte, fühlte sie sich kein bisschen besser. Im Laufe der Zeit war sie zuerst teilnahmslos und dann nachdenklich geworden. Sie bekam den Eindruck, zum ersten Mal etwas von dem Schmerz zu begreifen, den Kendrick empfand. Hatte Matilda sein Leben nicht ebenso zerstört wie er das ihre?
Aber war ihr Leben denn wirklich ruiniert? Zumindest besaß sie noch einen Körper - was ein sehr großer Segen war! Sie konnte noch reisen, neue Gegenden kennenIernen, fremde Speisen schmecken, seltsame und wunderbare Düfte riechen. Kendrick konnte das alles nicht. Er hatte vielleicht ihre Träume zerstört, aber hatte er sie nicht andererseits, auf seine Art, verwirklicht? Er hatte sein Zuhause mit ihr geteilt. Er hatte ihr einiges über Football beigebracht. Er hatte sogar angeboten, ihr Geschäft zu finanzieren.
Doch er hatte ihr mehr als das gegeben. Er hatte ihr das Gefühl vermittelt, schön zu sein. Hatte sie mit Augen voller Liebe angesehen und ihr angeboten, ihr Recke zu sein. Er hatte sie geneckt, für sie gesungen, sie hochnäsig herumkommandiert. War das denn nicht ein bisschen Vergebung wert?
Schließlich hatte er sie ja nicht gekannt, oder? Denn sonst hätte er gewusst, dass sie schon auf ein bloßes Lächeln hin zu ihm gekommen wäre. Nur aus Unkenntnis hatte er ihr Leben zerstört. Und wenn sie ganz ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass er nicht einmal das getan hatte. Er hatte ihr Geschäft ruiniert, ja, aber nicht ihr Leben. Ihr Leben war jetzt erfüllter als je zuvor.
Sie stellte die Teetasse ab und schob sie von sich. In
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