Das Erbe in den Highlands
Fahren abwechselten. Genevieve hätte darüber kaum glücklicher sein können. Die meiste Zeit sah sie aus dem Fenster und dachte nach. Wie seltsam die Launen des Schicksals doch waren. Kaum hatte sie endlich den perfekten Mann gefunden, musste die Vorsehung Sand ins Getriebe streuen und ihn ein Gespenst sein lassen. Obwohl Genevieve wusste, dass sie eigentlich weinen müsste, brachte sie es noch nicht fertig. Tränen würde sie bald genug vergießen. Jetzt sollte sie sich lieber vorstellen, wie schön es sein würde, Kendrick wiederzusehen, zu wissen, dass sein Lächeln allein ihr galt, sich all die köstlichen Nachmittage auszumalen, die sie mit Geplauder und leisem Lachen in seiner Höhle verbringen würden, die Köpfe wie Liebende zusammengesteckt.
Ja, später würde noch genug Zeit für Tränen sein.
17
Die Zugbrücke senkte sich, als der Wagen näher kam, und Genevieve seufzte erleichtert. Obwohl der Morgen erst dämmerte, wurden sie erwartet. Sie lehnte sich zurück und blickte aus dem Fenster, während der Wagen den gewundenen Weg zum inneren Burghof hinauffuhr. Nur ein paar Minuten noch, und sie würde zu Hause sein.
Zu Hause. Schon seltsam, eine Burg aus dem dreizehnten Jahrhundert als ihr Zuhause zu betrachten. Und in einem mittelalterlichen Gespenst ihren Geliebten zu sehen. Sie lächelte vor sich hin. Irgendwie erschien ihr das ganz normal. Würde der Rest ihres Lebens genauso normal verlaufen? Sie hoffte es.
Der junge Fahrer blickte sich hektisch nach menschlichen Wesen um.
»Keine Bange«, beruhigte ihn Genevieve. »Das Personal ist aus Fleisch und Blut.«
»Ich habe gehört, dass es hier spukt«, sagte er mit gedämpfter Stimme, als rechnete er damit, von allen Unholden der Hölle gejagt zu werden.
»Sie sollten nicht alles glauben, was Sie hören«, meinte sie, verlor aber den Faden, als sich der Bergfried majestätisch in der Ferne erhob. Sie fuhren durch das Haupttor in den Innenhof. Genevieve atmete langsam aus, was diese lästigen Schmetterlinge in ihrem Bauch aber auch nicht beruhigte.
Kendrick stand in Jeans und schwarzer Lederjacke auf den Stufen vor der Halle. Er sah aus, als fröstelte es ihn. Nichts hätte Genevieve lieber getan, als die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu wärmen.
Sie stieg aus dem Wagen und versuchte, gemessenen
Schrittes über die Quadersteine des Innenhofs zu gehen. Das gelang ihr zwei Schritte lang. Den Rest des Weges rannte sie und kam schwankend auf der Stufe unterhalb von Kendrick zum Stehen. Er wartete, bis sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, bevor er sich zu ihr herabbeugte und sie küsste.
Genevieve spürte nur einen Hauch elektrischer Spannung, die sie durchzuckte, doch das genügte. Sie blickte zu ihm auf und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. Meine Güte, sah er gut aus. Seine dunklen Haare waren noch genau so lang und widerspenstig wie früher, ein paar lose Strähnen hingen ihm in die Stirn. Seine Augen waren noch von demselben staubigen Blassgrün. Sein Gesicht war noch genauso hübsch, und sein Körper noch genauso zum Dahinschmelzen. Der einzige Unterschied war, dass er sie liebte.
»Ich bin so froh, dass du wieder zu Hause bist«, flüsterte er heiser, wobei er sich bemühte, eine finstere Miene aufzusetzen. »Worthingtons Gedanken bereiten mir nicht halb so viel Vergnügen. Hast du mich vermisst?«
Siehst du das denn nicht? Hast du mich vermisst?
Lass uns erst alleine sein, und ich werde dir zeigen, wie sehr.
»Willkommen daheim, Mylady«, begrüßte Worthington sie mit einer tiefen Verbeugung.
Wichtigtuer, brummte Kendrick.
Genevieve lächelte ihn an, bevor sie sich zu Worthington beugte und ihn auf die Wange küsste. »Danke, Worthington. Gibt es irgendetwas zu essen? Ich habe seit zwei Wochen keine anständige Mahlzeit mehr bekommen.«
Worthington war noch immer bemüht, so zu tun, als machte ihn dieser offene Beweis der Zuneigung nicht verlegen.
»Ich setze sofort Tee auf, Mylady. Und es gibt Ihr kleines Lieblingsgebäck. Ich habe mir erlaubt, heute in aller Frühe welches zu backen.«
Kendrick lachte, als Worthington ins Haus entschwand.
Die Tür ließ er weit offen stehen. »Gen, ich glaube, es ist ihm nicht klar, dass es noch viel zu früh für die Teezeit ist. So durcheinander habe ich ihn noch nie erlebt.«
»Du musst ihn in den letzten beiden Wochen völlig verrückt gemacht haben.« Sie blickte über die Schulter und sah ihre drei Begleiter etwas betreten unten an den Stufen stehen. Mit großen Augen
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