Das Erbe von Glen Crannach
wusste, was er von ihr wollte, erschreckte sie das zutiefst.
Sie atmete tief durch und blickte bedeutsam zur Tür. “Würden Sie mich jetzt freundlicherweise allein lassen? Ich möchte gern duschen.”
Er stieß sich von der Wand ab, doch anstatt hinauszugehen, trat er auf Camilla zu.
“Haben Sie nicht etwas vergessen?”, fragte er schmunzelnd.
Ihre Haut prickelte, wie gebannt sah Camilla in seine grauen Augen.
“Was denn?”, fragte sie heiser. Der Vorfall in der Kapelle fiel ihr wieder ein, als er die Hand ausstreckte.
“Das da.” Die Zeit schien stehen zu bleiben. Dann berührte er den Kragen der Lederjacke.
Camilla hatte ganz vergessen, dass sie die immer noch trug. Jetzt glaubte sie, die Wärme von Gregs Fingern durch das Leder und das Futter hindurch zu spüren. Einen Moment lang ließ er seine Hand liegen, und sein Blick war provozierend.
“Sie sehen in meiner Jacke reizend aus, aber ich muss Sie leider bitten, sie mir zurückzugeben.”
“Selbstverständlich.” Ungelenk begann sie, das warme Kleidungsstück abzustreifen. Es war ihr peinlich, dass sie nicht daran gedacht hatte. Schließlich hatte sie es geschafft. “Vielen Dank fürs Ausleihen.”
“Keine Ursache.” Er warf die Jacke lässig über die Schulter und wandte sich ab. Das schwarze Leder glänzte fast wie sein Haar. “Ich verlasse Sie jetzt, damit Sie in Ruhe duschen können. Wenn ich Ihr Essen bei Maggie bestelle, werde ich sie auch bitten, einen Schlafanzug für Sie herauszusuchen. Bestimmt ist irgendwo noch einer von meiner Schwester.”
Camilla nickte nur, und Greg ging hinaus.
“Wir sehen uns dann beim Frühstück”, meinte er noch. “Vorausgesetzt natürlich, Sie sind rechtzeitig auf.” Die Schlafzimmertür wurde leise ins Schloss gezogen, und Camilla war allein.
Sie duschte nicht sofort, sondern setzte sich aufs Bett, holte die Ansichtskarten, die sie auf dem Rückweg von Loch Maree für Eric gekauft hatte, aus der Tasche und wählte eine aus. In winzig kleiner Schrift schrieb sie eine lange und liebevolle Mitteilung auf die Rückseite, denn plötzlich empfand sie das überwältigende Verlangen, mit Eric in Verbindung zu treten – ihm näher zu sein. Das brauchte sie, um die allgegenwärtige Bedrohung abzuwehren.
Bevor Camilla sich nach dem Essen in einem hübschen bestickten Nachthemd, das Maggie ihr gebracht hatte, zwischen den rosafarbenen Laken ausstreckte, lehnte sie die Postkarte sorgfältig an die Nachttischlampe – wie einen Talisman, der sie vor einem herannahenden Unheil bewahren sollte.
Ehe sie schließlich das Licht ausschaltete, lag sie lange in den weichen Kissen und sah die Karte unverwandt an. Dabei versuchte sie, die quälenden Gedanken zu verscheuchen, die sich in ihr Bewusstsein drängten.
“Eric, Eric, Eric”, flüsterte sie ein ums andere Mal in das stille Zimmer.
Aber als sie schließlich in Schlaf fiel, war es das Bild von Greg McKeown mit seinem widerspenstigen dunklen Haar und den durchdringenden grauen Augen, das vor ihrem inneren Auge stand.
Kurz nach sieben schlug Camilla am nächsten Morgen die Augen auf. Nach einer unruhigen Nacht, in der sie sich von einer Seite auf die andere gedreht hatte, war sie erschöpfter als am Abend zuvor, doch sie empfand es als Erleichterung, endlich aufstehen zu können.
Sie marschierte in das angrenzende Bad und duschte. Dann zog sie notgedrungen dieselben Kleidungsstücke an, die sie schon am Tag zuvor getragen hatte, und bürstete sich das glänzende blonde Haar aus dem Gesicht. Schließlich ging sie nach unten.
Die Höflichkeit verlangte es, dass sie der Einladung ihres Gastgebers zum Frühstück Folge leistete. Wenn sie Glück hatte, war er überhaupt nicht da. Er hatte ja erwähnt, dass er sehr früh aufstand, und würde deshalb vielleicht schon gefrühstückt haben.
Doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht.
Als sie das Frühstückszimmer betrat, in dem es köstlich nach gebratenem Speck und Toast duftete, sah sie Greg in einem dunkelblauen Rollkragenpullover an dem langen Eichentisch sitzen und sich Kaffee einschenken. Aber er war nicht allein. Obwohl der alte Mann jetzt keinen zerdrückten Hut trug, erkannte sie Gregs Gegenüber sofort, blieb stehen und runzelte die Stirn. Es bestand kein Zweifel, der Erbe von Schloss Crannach frühstückte mit dem Gärtner!
Greg schaute auf und entdeckte Camilla. “Guten Morgen, Miss Holden!”, rief er ihr entgegen. “Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns.” Als sie der Aufforderung zögernd
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