Das Erbe von Glen Crannach
und wollte gerade zum Abendessen ins Hotelrestaurant gehen, da läutete das Telefon auf ihrem Nachttisch. In der Annahme, der Anrufer sei Eric, nahm sie sofort den Hörer ab. Zu ihrer Überraschung war Mrs. Cameron am Apparat.
“Sie haben Besuch, Miss Holden. Mr. Greg McKeown. Er ist auf dem Weg zu Ihnen.”
Camilla legte wieder auf. Was zum Teufel ging hier vor? Und was fiel Greg ein, einfach bei ihr aufzutauchen?
Lange brauchte sie nicht auf die Beantwortung ihrer Fragen zu warten. Es klopfte an die Tür, und Greg trat unaufgefordert ein.
“Was soll das …”, begann Camilla unwillig, aber weiter kam sie nicht.
Mit den in die Hüften gestemmten Händen und dem zerzausten Haar wirkte Greg wie ein heidnischer Krieger. “Packen Sie eine Reisetasche und machen Sie sich auf ein Abenteuer gefasst. Morgen früh fahren wir beide zusammen auf die Insel Mhoire.”
Jeder Widerspruch war zwecklos.
Greg erklärte, er sei plötzlich zu der Überzeugung gelangt, dass es sich lohnen könne, Camillas Intuition nachzugehen. Und in seiner impulsiven Art wollte er seinen Entschluss gleich morgen in die Tat umsetzen.
“Und warum soll ich Sie unbedingt begleiten?”, fragte Camilla.
“Wenn der Schmuck wirklich auf der Insel ist – und dessen schienen Sie sich heute Mittag ziemlich sicher zu sein –, werden Sie die einzigartige Gelegenheit haben, ihn an seinem ursprünglichen Platz zu fotografieren. Kein Profi wie Sie darf sich eine solch einmalige Gelegenheit entgehen lassen.”
Damit hatte er recht. Die Aussicht, die romantische Insel Mhoire zu besuchen, lockte Camilla. Weniger begeistert war sie allerdings von ihrem Reisegefährten. Greg hatte erklärt, sie würden mindestens zwei Tage weg sein, und der Gedanke daran beunruhigte sie.
Obwohl sie wieder nicht sonderlich gut geschlafen hatte, war Camilla am nächsten Morgen pünktlich fertig. Sie rief bei Eric im Büro an, um ihm mitzuteilen, dass sich ihre Pläne unerwartet geändert hatten, aber seine Sekretärin teilte ihr mit, er sei in einer Besprechung und dürfe nicht gestört werden.
Camilla hinterließ eine Nachricht für ihn, machte sich aber dennoch heftige Vorwürfe. Eigentlich hätte sie ihn schon am Abend zuvor oder zeitig heute früh anrufen müssen. Was würde er denken, wenn er nun von seiner Sekretärin erfuhr, dass Camilla sich urplötzlich entschlossen hatte, mit dem Enkel des Lords von Crannach auf eine Hebrideninsel zu fahren?
Während sie in ihrem Zimmer darauf wartete, dass Greg sie abholte, betrachtete sie ihr Spiegelbild. Sie hatte sich für eine graue Kordhose und einen Lambswool-Pullover in derselben Farbe entschieden. Dazu trug sie feste flache Schuhe. Das glänzende Haar war streng zurückgebürstet und im Nacken mit einer Spange zusammengefasst. Auf Make-up und Schmuck hatte Camilla verzichtet. Greg McKeown sollte von Anfang an deutlich merken, dass sie die Fahrt nach Mhoire nicht als Vergnügungs-, sondern als Dienstreise betrachtete.
Er fuhr, wie ausgemacht, Punkt halb zehn vor dem Stag Hotel vor, und wenig später lud er Camillas Gepäck neben seins auf den Rücksitz des Land Rovers.
“Was macht Ihre Schulter?”, erkundigte Camilla sich, als sie beide in dem Wagen saßen und Greg losfuhr. “Konnten Sie vergangene Nacht denn überhaupt schlafen?”
Er schmunzelte. “Und wie! Meine Schulter ist noch ein wenig steif, aber im Großen und Ganzen kann ich mich nicht beklagen.”
Jedenfalls wirkte er nicht, als behinderte ihn die Verletzung. In dem dunkelroten Pullover, der gut zu seinem dunklen Haar und der gebräunten Haut passte, und den üblichen Jeans sah Greg aus wie der Inbegriff von Gesundheit und Fitness.
An der Hauptstraße bog Greg nach Westen in Richtung Küste ab.
“Wir fahren nach Gairloch”, teilte er Camilla mit, “und nehmen dort die Fähre. Gegen Mittag geht eine ab, die zur Insel Mhoire fährt, wenn auch nicht auf direktem Weg. Wir werden unterwegs an etwa einem halben Dutzend kleinerer Inseln anlegen. Wenn wir Glück haben, sind wir am späten Nachmittag am Ziel.”
“Am späten Nachmittag?”, wiederholte Camilla. Sie hatte damit gerechnet, dass die Reise höchstens eine Stunde dauern würde. “Wäre es nicht einfacher, eine Fähre zu nehmen, die direkt nach Mhoire übersetzt, anstatt den halben Tag zu vertrödeln?”
“Natürlich”, bestätigte er, “aber es gibt leider keine. Wir müssen von Glück reden, dass wir heute schon fahren können. Mhoire wird nämlich nur zweimal in der Woche
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