Das Erbe von Glen Crannach
angelaufen.”
“Das ist sicher ein Scherz!” Aber sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Jetzt war ihr auch klar, warum er sie darauf vorbereitet hatte, dass sie mindestens zwei Tage unterwegs sein würden.
Greg schüttelte den Kopf. “Wir sind hier nicht in London, wo am Ufer der Themse alle halbe Stunde ein Schiff abfährt. Die Inselbevölkerung lebt sehr abgeschieden, das allerdings nicht gezwungenermaßen, sondern freiwillig. Es gibt kein Telefon und kein Fernsehen, und die Post kommt nur einmal in der Woche. Erst vor fünf Jahren wurde Mhoire überhaupt ans Stromnetz angeschlossen.”
Camilla schaute ihn ungläubig an. An was für einen primitiven, rückständigen Ort brachte er sie da?
“Aber wir befinden uns am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts!”, protestierte sie. “Es ist doch nicht möglich, dass Menschen heutzutage noch so leben.”
“Oh doch. Und es ist kein schlechtes Dasein. Sie werden überrascht sein, wenn Sie es selbst sehen.”
Ihre Neugier erwachte. Camilla war noch nie an einem so abgelegenen Ort gewesen, und, wie Greg am Abend zuvor bereits erwähnt hatte, die Fahrt verhieß ein Abenteuer zu werden. Gleichzeitig sah Camilla dem Aufenthalt auf Mhoire mit gemischten Gefühlen entgegen.
In einer solchen Umgebung würde eine Frau wie sie, die an die Bequemlichkeiten des technischen Zeitalters gewöhnt war, völlig auf Greg McKeown angewiesen sein, der sich dort auskannte. Ja, sie würde sogar total von ihm abhängig sein, und das gefiel ihr überhaupt nicht.
Doch wenn sie nicht verlangen wollte, dass er sie aussteigen ließ und ohne sie weiterfuhr, musste sie das hinnehmen. Und da sie noch immer überzeugt war, dass der Goldnebel sich auf Mhoire befand, und sie darauf brannte, ihn dort zu fotografieren, konnte sie das nicht verlangen.
Ergeben lehnte sie sich in ihren Sitz zurück, während sie sich Gairloch und damit dem Zeitpunkt näherte, an dem es definitiv kein Zurück mehr gab.
Hoffen wir, dass diese Reise kein allzu großes Abenteuer wird, dachte Camilla.
7. KAPITEL
Die kleine Fähre mit ihrer Ladung von drei Autos und etwa zwanzig Passagieren lief kurz nach zwölf aus. Camilla lehnte sich an die Reling und beobachtete die kreischenden Möwen, die die Fähre begleiteten. Schließlich seufzte sie leise und schaute auf die rasch kleiner werdenden Häuser an der Küste zurück, die in der Herbstsonne leuchteten. Hinter den Häusern und sanften Hügeln ragten die Gipfel des Hochlands auf.
Nach einer Weile schloss Camilla die Augen und hielt das Gesicht in den Wind. Die sanfte Westbrise erfasste einzelne Strähnen ihres Haars und ließ sie wie Goldfäden im Sonnenlicht tanzen.
Unerklärlicherweise fühlte sie sich gut. Der Norden des Landes, der ihr noch vor wenigen Tagen so fremd vorgekommen war, wuchs ihr mehr und mehr ans Herz. Tief atmete sie die salzige Luft ein. Es war alles so anders als das, was sie gewohnt war, aber im Augenblick hätte sie nirgendwo anders sein mögen.
Armer Eric, dachte sie. Du sitzt jetzt im Hexenkessel London, bist umgeben von Verkehrslärm und stinkenden Auspuffgasen, wenn du in der Mittagspause in ein überfülltes Restaurant eilst.
Gleich darauf lächelte sie über ihr Mitleid mit ihm. Eric gefiel das Großstadtleben doch, und er würde sie wegen ihrer plötzlichen Begeisterung für das Landleben auslachen. Schließlich hatte sie bis vor Kurzem seine Vorliebe für die Großstadt noch geteilt.
Jäh wurde Camilla aus ihrer friedlichen Stimmung gerissen.
“Was sagt Ihr Freund Eric denn dazu, dass Sie mit mir verreisen?”, fragte Greg, der plötzlich neben Camilla aufgetaucht war und ihre Gedanken lesen zu können schien.
Sie wandte sich ihm zu und sah ihn verdrossen an. Bis jetzt war er in ein Gespräch mit dem Fährmann vertieft gewesen, und sie hatte gehofft, dass er sie auch für den Rest der Überfahrt in Ruhe lassen würde.
“Ich weiß nicht, was Sie meinen”, erklärte sie steif.
Er betrachtete sie amüsiert. “Sie haben sich doch bei Eric abgemeldet, oder?”
“Selbstverständlich.” Er sprach inzwischen von Eric, als sei ihm dieser sehr vertraut, und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Um zu zeigen, dass das Thema für sie beendet sei, drehte sie Greg den Rücken zu.
“Haben Sie Hunger?”
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass schon fünf Stunden vergangen waren, seit sie gefrühstückt hatte. Wie auf Kommando begann ihr Magen zu knurren. Sie drehte sich wieder um. “Ein bisschen.”
“Dann würde ich
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