Das Erbe von Glen Crannach
Gregs nacktem Oberkörper hatte ihr bestätigt, dass er tatsächlich makellos gebaut war. Sie wünschte, sie wäre sich seiner Nähe nicht so beunruhigend bewusst. Wenn sie den Arm ausstreckte …
“Deshalb brauchen Sie sich doch nicht zu bedanken”, murmelte sie verlegen. Auf einmal kam ihr ein Gedanke. “Wie ist es denn nur möglich, dass sich ein Traktor plötzlich selbstständig macht?”
“Das ist eine Frage, die noch näher untersucht werden muss. Ich nehme an, dass es sich um einen Kurzschluss der Zündung handelt.”
Diese Erklärung hatte er zuvor schon gegeben, aber Camilla hatte ihre eigene Theorie.
“Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?”, fragte Camilla wie nebenbei.
“Persönlich nicht, aber ich habe davon gehört.”
Sie hob den Kopf. “Halten Sie einen solchen Zufall nicht für etwas merkwürdig?”
“Merkwürdig?” Greg sah sie an und lächelte. “Wollen Sie etwa andeuten, dass mein Unfall etwas mit dem Fluch zu tun haben könnte, der auf dem Goldnebel liegen soll?”
“Ganz von der Hand zu weisen ist es schließlich nicht”, verteidigte sie sich.
Er schüttelte den Kopf. “Wenn da wirklich ein Fluch mit im Spiel gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht nur leicht verletzt, sondern tot. Diese alten keltischen Flüche geben sich nicht mit halben Sachen ab!”
Sein spöttischer Unterton bewies ihr, dass er ihre Vermutung nicht ernst nahm. Womit er wahrscheinlich auch recht hatte. Sie bildete sich nur etwas ein. Sachlicher meinte sie: “Ich habe bemerkt, dass Sie die Juwelen wieder im Safe verwahrt haben.”
“Den Goldnebel? Was meinen Sie?” Er runzelte die Stirn. “Ich habe den Schmuck nicht im Safe verschlossen, sondern ihn zusammen mit den anderen Sachen in den Schrank gelegt.”
“Dort ist er aber nicht. Das kann ich Ihnen versichern.”
“Sie irren sich bestimmt.”
“Nein, ich irre mich nicht.”
“Wenn Sie so sicher sind …” Greg war bereits auf halbem Weg zur Tür, als er sich noch einmal umdrehte. “Kommen Sie”, forderte er ungeduldig. “Wir müssen das sofort überprüfen.”
Camilla hatte sich wirklich nicht getäuscht. Wie sie bereits am Morgen festgestellt hatte, war die Schatulle mit dem Goldnebel nicht mehr bei den anderen Schmuckstücken im Schrank. Noch eigenartiger und beunruhigender war jedoch, dass sie sich auch nicht im Safe befand.
“Vielleicht hat Ihr Großvater den Schmuck herausgenommen”, meinte Camilla, als Greg ungläubig auf das leere Fach starrte, aus dem er das Geschmeide tags zuvor geholt hatte.
Er schüttelte den Kopf. “Das würde er nie tun, ohne mir etwas zu sagen. Und niemand anders darf den Schmuck berühren.”
“Irgendjemand hat es aber getan”, stellte sie fest. Plötzlich kam ihr eine Eingebung. “Ich wette, ich weiß, wo der Goldnebel ist – auf der Insel, von der Sie mir erzählt haben. Der Ort, wo er ursprünglich aufbewahrt wurde.”
Greg betrachtete sie aufmerksam. “Die Insel Mhoire? Wie kommen Sie denn darauf?”
“Liegt das nicht auf der Hand? Deshalb war Ihr Unfall auch nicht tödlich, wie der Fluch es eigentlich bestimmt hatte. Als der Traktor Sie anfuhr, waren die Juwelen bereits wieder auf der Insel, wo sie hingehören. Ich bin bereit, alles darauf zu verwetten, dass es so ist. Schließlich haben Sie mir selbst erzählt, dass der Fluch nur ausgesprochen wurde, weil Ihre Vorfahren den Goldnebel von seinem angestammten Platz entfernt haben.” Camilla errötete leicht. Sie wusste, dass das, was sie eben behauptet hatte, wie ein Märchen klang. Dennoch war sie überzeugt, dass sie sich nicht irrte.
Greg schwieg lange. Dann schlug er die Tür des Safes zu. “Das mag schon sein”, erklärte er, ohne näher auf Camillas Theorie einzugehen. “Aber ehe wir uns in der Legende verstricken, sollten wir die Polizei rufen.”
Die Stunden, die nun folgten, waren chaotisch.
Zuerst traf Dr. Fraser ein, der Camillas Erste-Hilfe-Maßnahmen lobte und Gregs Wunde mit einigen Stichen nähte. Dann kam die Polizei und stellte endlos Fragen, auf die niemand eine Antwort geben konnte. Lord Crannach wusste nichts über den Verbleib des Goldnebels, und die Haushälterin Maggie, die als Einzige noch Zugang zu der Sammlung hatte, hatte ihren freien Tag und war nicht aufzufinden.
Als die Polizisten schließlich abfuhren, verabschiedete sich auch Camilla. Sie war nicht mehr in der Stimmung, Fotos zu machen, und es erschien ihr sinnlos, untätig im Schloss herumzusitzen.
Sie verbrachte einige Zeit in ihrem Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher