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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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einfach verschwinden. Es ging um mein Leben. Es gab keine Wiederholung. Das machte es so einzigartig.
    Wieder diese Stimme. Bekannt und doch völlig verzerrt.
    Ihr versteckt euch vor mir?
    Hahaha.
    Ihr denkt, ich bin verrückt?
    Nein, ich bin nicht verrückt. Verrücktsein – das ist nur ein Wort. Ihr irrt euch. Jeder Gedanke hat ein Recht, gedacht zu werden. Hat ein Recht, ausgesprochen zu werden, ein Recht, in die Tat umgesetzt zu werden. Wer will es mir verbieten?
    He? Wo seid ihr?
    Wer will es mir verbieten?
    Tote kann man nicht mehr hassen. Und die ganze Zeit überlegte ich, wer es sein konnte, der dort draußen schrie.
    Ihr kotzt mich alle an.
    Nein, ihr beginnt, mich zu langweilen. Aber ich kann diese Langeweile nicht mehr ertragen.
    Wisst ihr, was ich hasse?
    Langweiler. Sie kotzen mich alle an.
    Ihr kotzt mich an.
    Dabei hätte ich die Stimme erkennen müssen. Aber vielleicht hatte der Wahn, in den er geraten war, sie verändert.
    Und dann ging das Geschrei in ein Flüstern über.
    Sie kotzen mich alle an.
    Ihr kotzt mich an.
    Und in dem Moment spürte ich, er war bereits im Raum.

7. Im Zeichen der Maske
    »David?«
    Mein Name drang nur langsam zu mir durch. Ich hatte mein eigenes Kino im Kopf. Die Bilder, die ich verdrängt hatte, und zwar mit Erfolg, kehrten mit aller Wucht zurück und erfüllten die Vorhersagen sämtlicher Traumatologen, deren Bücher ich gelesen hatte. Besonders an eine Stelle erinnerte ich mich gut.
    Das Gedächtnis ist eine Gedenkstätte. Für alles Gute und alles Schlechte. Die Bilder sind da. Sie liegen nur in den Archiven, stauben vor sich hin, bis irgendwann der Zeitpunkt da ist, sie sich wieder ins Bewusstsein zu bringen.
    Ich hatte auf diesen Zeitpunkt gewartet und war trotzdem nicht darauf vorbereitet.
    »David!«
    Eine Hand zog an meinem Arm. Sie fühlte sich ganz real an. Energisch und gleichzeitig sanft.
    Das Dröhnen in meinem Kopf erwies sich als Surren der Klimaanlage. Um mich herum schimmerte das bläuliche Licht der Bildschirme. Robert hatte sich hinter der Tür auf den Boden geduckt und auch ich saß noch unter einem der Tische.
    »Sie fahren wieder nach oben«, flüsterte er. »Sie haben uns nicht entdeckt.«
    Erst als ich erneut das Klingeln des Fahrstuhls hörte, begriff ich, wen er meinte. Die Security hatte auf den Alarm reagiert. Aber offenbar hatten die Kameras nicht registriert, dass wir den Serverraum betreten hatten. Jedenfalls hatten sie hier nicht nachgesehen.
    Robert richtete sich wieder auf und machte sich abermals am Rechner zu schaffen. Doch plötzlich veränderte sich sein konzentriertes Gesicht. Ich las darin so etwas wie Schock, Verwirrung und Panik. Die Augen waren weit aufgerissen. Ein tiefer Atemzug und Robert flüsterte: »Du musst dir das anschauen.«
    Direkt vor mir flackerte der Monitor in der Dunkelheit des Raums. Zuerst nur Lichtpunkte, in denen Staub flimmerte, der den Serverraum in Besitz genommen hatte. Nach und nach entsandte er ein Bild, dessen Bedeutung ich nur allmählich begriff.
    Er zeigte einen großen hellen Raum, der von einer unsichtbaren Sonne beschienen wurde. Ein schmaler Streifen blauen Himmels war zu erkennen. Graue Tischreihen, die nicht in Reih und Glied standen, als hätte sie jemand durcheinandergebracht. Ich erkannte das Plakat an der Wand direkt neben der Leinwand. Es zeigte das Logo eines Touristikbüros in Fields. Ein völlig in Schnee gehüllter Skifahrer stürzte sich den Hang hinunter. Das Werbeplakat für ein Skigebiet in den Rocky Mountains.
    Es handelte sich eindeutig um einen der Prüfungsräume am Grace. Daran hatte ich keinen Zweifel. Derselbe Raum, in dem ich Rose und die anderen vermutete. Erst gestern hatte ich mich dort durch das Matheexamen gequält.
    Und vorn auf dem Pult saß eine Gestalt im Schneidersitz. Der Junge trug einen langen dunkelgrauen Mantel. Ein alter Militärmantel, an den Schultern mehrfarbige Streifen. Genau so einen hatte Jacob besessen.
    Der Mantel war nicht zugeknöpft. Darunter kamen eine dunkle Hose und ein ebenso dunkles Hemd zum Vorschein, das bis zum Hals zugeknöpft war.
    Dass er eine Waffe in der rechten Hand hielt, fiel mir zunächst nicht auf. Mein Blick wurde von etwas anderem gefesselt. Am Revers des Mantels war ein Zettel befestigt, dessen Text ich erst entziffern konnte, als Robert mit einem Klick das Bild vergrößerte. Ich konnte deutlich spüren, wie mein Herz loslegte und das Dröhnen der Klimaanlage übertönte. Ja, ich fühlte es bis in meine Zehenspitzen

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