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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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sie in den nächstbesten Straßengraben getunkt hatte. Die Mutter ließ sie lügen. Bis Malie zur ückkam, war die Schenke doch leer, und alle Flaschen waren weggeräumt und alle Tische abgewischt und der Schlaf wartete.

    Gastwirt Alfred Jebsen hatte Geld. Der Krieg hatte ihn fast reich gemacht, jedenfalls nach seinen eigenen Maßstäben. Niemand, nicht einmal seine Frau, oder sie noch weniger als alle anderen, wusste, wie viel er während der Gulaschzeit auf dem Schwarzmarkt in Kopenhagen verdient und zusammenspekuliert hatte. Aber wenn Alfred einfältig wirkte und fast immer angetrunken war, so las er doch die Zeitungen, wenn er welche fand, und lauschte den Gesprächen der Fremden, die ab und zu in die Kneipe kamen. Es interessierte ihn, was sie aus Kopenhagen und über den dortigen Warenmangel erzählten. Er reagierte rasch. Als der Reichstag 1914 die freie Marktwirtschaft durch Planwirtschaft, Regulierung und Zwang ersetzte, obwohl Dänemark doch neutral war, wusste Alfred Jebsen, dass jetzt seine Zeit anbrach, sein Krieg. Der Staat wollte selber die Roggen- und Weizenernten der Großbauern verwalten, damit die Bauern sich am Brotmangel keine goldene Nase verdienen konnten. Der Lieferpreis lag weit unter dem Marktpreis, und das alles schrie doch geradezu nach Schwarzmarkthandel. Und nach Alfred Jebsen,
dem Mittelsmann, der die Daumen in die Hosenträger hakte. Hier war er in seinem Element, was ihn selber am meisten überraschte. Er hatte sich schon immer für einen guten Geschäftsmann gehalten, wenn er mit seinen Aalen nach Kopenhagen gefahren war, aber dass er sich auch mit Roggen und Weizen und Zucker und dem Verkauf von Lebensmittelmarken auskannte? Der Aal führte ihn ins Zentrum der Ereignisse, er sollte den kompakten Kopenhagener Ententeich aufwühlen, und er wusste diese Möglichkeiten wunderbar zu nutzen. Er war außerdem clever genug, um zu wissen, dass dieses Glück nicht von Dauer sein würde. Deshalb brüstete er sich nicht damit, sondern behielt es für sich und trat weiterhin ärmlich und wenig prahlerisch auf.
    Vier Jahre lang fuhr er regelmäßig mit seinem alten, blau angestrichenen Aalwagen los, der wie eine Truhe verschlossen und mit Blankaal und Goldaal gefüllt war, und scheinbar hatte er kein anderes Ziel, als diese Ladung abzusetzen. Aber unter der Hand hatte er Abmachungen mit anderen Fuhrleuten und anderen Wagen getroffen, deren Inhalt nicht wie Silber oder Gold funkelte und auch nicht nach geräuchertem Fischfett stank. Und während die radikale Regierung Zahle das Land so gerecht lenkte, wie sie nur konnte, und während Innenminister Ove Rode sich bei seinen Schmähreden wider die raffgierige Rücksichtslosigkeit und wider Geldjagd und Schwindel heiser schrie, schnalzte Alfred Jebsen mit der Zunge, um sein Pferd Simon-Peter anzutreiben, zu neuen Abmachungen und neuem Verdienst.
    Jede weitere Einschränkung brachte Alfred auf neue Ideen. Er besorgte auch Zucker, Butter, Speck und einen saftigen Kronhirschbraten, wenn das gesucht wurde. Statt eine Faust in der Tasche zu machen, segelte er durch vier gute Jahre wie ein Schwan durch den Ententeich. Bei Kriegsende zählte er sein Geld und verbarg es tief unten in seiner Matratze, und er ärgerte sich darüber, dass noch viel mehr da liegen könnte, wenn er nicht ein Gutteil davon im Røde Kro in der Holmsgade vertrunken
und danach für teure Mädchen auf seinen Knien und im Bett ausgegeben hätte. Aber wenn abends in der Jebseschenke die Rede auf den Krieg kam, hatte er sich daran absolut nicht beteiligt. Er wusste rein gar nichts über die Leute, die durch ihren Tauschhandel das Land entzweit hatten, zwischen Jammer und Fest. Er trug noch immer dieselbe Kleidung, hatte noch immer schmutzige Fingernägel, war noch immer Gastwirt und Aalfischer und sonst gar nichts. Er saß bei den anderen und seufzte und stöhnte über das viele Elend, das der Krieg mit sich gebracht hatte, sogar in einem Land, das klug genug gewesen war, sich nicht daran zu beteiligen.
    Es war wirklich wunderbar befreiend, mit anderen zusammen zu sein, denen es ein wenig schlechter ging. Diese Art von Kneipengerede ließ das Bier nur so fließen, und das eigene Leben nahm eine eher rosenrote Färbung an. Es half der Laune auf die Sprünge, sich über das Chaos zu verbreiten, das die Russen durch die revolutionären Bolschewiken und die Attentäter und die Hinrichtungen und den Amoklauf der Heeresabteilungen erlebten, und über die Zarenfamilie - so geht es, wenn man ums

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