Das Erbstueck
morgens in einem optimistischen Kranz um den Kopf wand und der später am Tag schwer und wild über ihren Rücken hing. Sie besaß eine Feinheit, die in der Schenke fehl am Platze wirkte. Sie wirkte noch mehr fehl am Platze, wenn Malie den Mund öffnete und wie eine Marktfrau loskeifte, wenn ein Kneipengast auf den Boden spuckte oder ein Schnapsglas zerbrach, damit sie die Scherben zusammenfegte und dabei ein wenig angegrabbelt werden konnte - oder damit man zumindest einen Blick auf die jungen Reize werfen konnte, an denen ihr Vater sich bediente, wie alle längst durchschaut hatten. Sie war die einzige Tochter und das einzige Kind ihrer Eltern. Deshalb musste sie in der Schenke hart arbeiten. Die Verwandten der Mutter ließen sich nie hier sehen. Sie lebten in Kopenhagen, und es bestand keinerlei Kontakt.
»Die malen«, höhnte der Vater oft. »Sie malen Bilder und lesen kleine Bücher mit Goldschrift auf dem Einband. Sie sind schatzreich und trinken roten Wein mit eleganten Namen und diskutieren und suhlen sich in dem väterlichen Erbe, von dem dir, meine liebe Agnes, auch ein Teil zugestanden hätte. Wenn deine Mutter es nur geschafft hätte, die Oberschenkel zusammenzukneifen, wenn außer deinem Vater noch andere Männer des Weges kamen.«
»Halt den Schnabel! Hundsfott! Und kümmer du dich um deine eigenen Körperteile«, gab Madame Agnes daraufhin zurück, denn offenbar fehlte es ihr an der ererbten Eleganz, deren Fehlen ihr Mann ihr ja auch vorwarf.
Alfred selber hatte nur einen einzigen Bruder, einen bisher unverheirateten Schwerenöter, der zum Glück von der bodenständigen und arbeitsamen Art war. Andreas arbeitete in der Holzschuhfabrik von Gimms. Der Gastwirt und Aalfischer Alfred, Madame Agnes und die kleine Malie in der Jebseschenke in der kleinen nordseeländischen Ortschaft Hvideleje hatten deshalb
immer neue Holzschuhe. Wenn Andreas hörte oder sah, dass sie in abgelaufenen oder gesprungenen Schuhen umherliefen, steckte er sich vor Feierabend schnell ein neues Paar unter den Kittel, um es gegen ein Essen und vier oder fünf Bier einzutauschen.
»Aber die sind so schwer an den Füßen, Onkel Dreas!«, klagte Malie und hängte sich an seinen Hals. »Ich hätte lieber Seidenschuhe mit Spitzen und vielleicht vorne einer kleinen Schleife. Macht ihr so was nicht?«
»Du kommst doch aus einer piekfeinen Familie, wenn du die nur finden könntest«, erwiderte Andreas und lachte und schwenkte sie durch die Luft. »So. Und jetzt bring mir einen guten Schluck. Du kleine Schankmutter!«
Das erste Bier kippte er auf einen Zug, mit in den Nacken gelegtem Kopf. Danach verstummte er für ein oder zwei Minuten, dann packte er die Tischplatte und rief: »Jetzt wirkt der Zauber. Die magische Kraft des Biers. Das hier hat mehr Malz als sonst, das find ich toll. Jetzt fängt das Bacchanal an, da laus mich doch der Teufel!«
Es tat dem Umsatz gut, dass er da war. Stimmung und Durst stiegen. Schließlich kam auch der Schnaps auf den Tisch, und Madame Agnes hatte alle Hände voll zu tun, wenn sie die Kreidestriche an der Tafel im Auge behalten wollte. Wenn es besonders hoch herging, versuchten manche Stammgäste gleichsam aus Versehen, gegen die Tafel zu sinken, um die Kreide wegzuwischen. Aber dann griff die Madame rasch ein und rechnete noch einmal nach, nachdem sie den unrealistisch optimistischen Gast mit dem Buttermesser in die Seite gepiekst hatte.
»Komm zum Onkel«, rief Andreas, während Malie mit Tassen und Flaschen und Talgkerzen und Wechselgeld herumrannte. Nach Einbruch der Dunkelheit hängte sie die Laterne hinaus, damit noch der gebückteste Greis aus der Ferne das Licht der Jebseschenke erspähen könnte. Aber wenn er betrunken wurde, hängte sie sich durchaus nicht an den Hals ihres Onkels Dreas.
Dann wurde er wie der Vater, mit dicken Fingern, über die sie keinen Überblick hatte, und halb offenem, feuchtem Mund mit Hängelippen, und mit Augen, die immer ihren Mund suchten. Sie machte sich draußen in der Küche zu schaffen, schrubbte die Pfannen mit Sand aus, schmolz den Talg der Stumpen, setzte Teig an und erledigte alle möglichen Arbeiten. Wenn er unmöglich wurde, ging sie. Die Mutter kniff die Augen zusammen, wenn sie dann endlich nach Hause kam, aber Malie ging trotzdem und log später: »Ich war oben im Stich und hab den Torf gewendet, meine Mutter, ich habe hart gearbeitet, sieh dir doch nur meine Hände an.« Sie streckte die Hände aus und zeigte, wie schmutzig die waren, nachdem sie
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