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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Moment war ihr das egal.

    Malie stand oben im Schlafzimmer und weinte. Dort unten zu bluten, das begriff sie nicht. Und die Schmerzen dröhnten und pochten, als wolle etwas heraus, sei drinnen gefangen, versuche, sich einen Weg durch das viele blutende Fleisch zu beißen.
    »Du bist viel zu früh«, hatte die Mutter gesagt und ihr einige von ihren eigenen Lappen abgegeben. Zu früh? Das verstand sie nicht. Sie stopfte sich die Lappen in die Unterhose und wischte sich die Tränen ab. Wofür denn zu früh?
    Als sie in den Schankraum kam, hatte die Mutter schon eine
Tasse Milch mit Cognac für sie bereitgestellt. »Das hilft gegen die Schmerzen«, sagte sie.
    »Aber warum kommt das ... Blut heraus, meine Mutter?«
    »Das ist eine Vorwarnung der Geburt. Wenn du Kinder bekommst, dann wird es so. Jeden Monat wirst du daran erinnert, damit du keine machst.«
    Malie trank die Milch und fühlte sich sofort besser. Sie bekam noch eine Tasse, diesmal mit schwachem Kaffeepunsch. In diesem Moment kam Madame Bertilsen hereingestürzt und schaute sich wütend um. Bertilsen versuchte, an der Wand entlang in die dunkelste Ecke zu gleiten, aber seine Frau entdeckte ihn doch. Sie hatten elf Kinder. Er arbeitete in der Mühle und hätte am liebsten seinen gesamten Lohn vertrunken.
    »Hast du die Fünfdutzend? Hassu die Fünfdutzend, du Schweinehund?«, brüllte sie.
    Bertilsen sank noch tiefer in sich zusammen. Malie kicherte und schlug sich die Hand vor den Mund. Es war immer dasselbe, wenn Bertilsen Geld bekam. Seine Frau brauchte die sechzig Kronen, um die Miete für das Haus und den Stall und das Pferd und den Torfstich zu bezahlen. Den Rest verdiente sie, indem sie für andere Wäsche wusch und unten in Kopenhagen Torfplatten und feinen Scheuersand verkaufte. Aber die sechzig verlangte sie, sonst durfte er nicht nach Hause kommen. Sie schloss die Tür ab und öffnete sie erst wieder, wenn das Geld sicher in ihrem Mieder steckte.
    Die Stirn fast auf die Tischplatte gesenkt, reichte er ihr das Geld. Sie riss es an sich, verstaute es am angestammten Platz und trampelte hinaus.
    »Möchtest du einen Schnaps, Bertil? Aufs Haus?«, rief Madame Agnes.
    Die Stirn nickte eifrig.
    »Siehst du, Malie. So geht das. Elf Kinder. Wahrscheinlich war sie auch so früh wie du.«
    »Ich bekomme keine Kinder. Nicht, wenn dabei Blut kommt.«

    »Dann darfst du auch niemanden seine Ladung da unten einfahren und auskippen lassen.«
    »Aber er ...«
    »Niemanden. Dafür habe ich gesorgt. Und jetzt bist du wieder gesund. Und hilfst deinem alten Vater bei den Aalen.«

    Der Vater nahm alle Tierköpfe, die er bekommen konnte. Er lehnte nur Lämmer ab. Die waren zu klein. Am liebsten hatte er Pferdeköpfe, die waren tief und lang. Eigentlich sei die Verwendung von Pferdeköpfen verboten, sagte jemand. Er sollte Reusen oder Aalkörbe nehmen, hieß es, aber darauf pfiff Alfred. Das Tier war doch tot, was sollte man denn sonst mit dem Kopf anfangen? Ein Schweinskopf, ja, als Sülze bot der ausgezeichnete Nahrung für Menschen, aber die anderen Köpfe? Nein, die bekam der Aal. Und die Schlachter, die ihm Köpfe gaben, wurden mit frisch geräuchertem Fisch belohnt.
    Unten im Kopf spannte er grobe Leinwand aus, durch die Augenh öhlen zog er Bindfäden, die er an schwimmenden Brettern und danach an Büschen und Bäumen am Ufer befestigte. Und zwar gut versteckt. Er wollte nicht, dass andere sich an seinem Fang bedienten. Oder auch sahen, womit er den erzielte. Die Köpfe mussten ja eine Weile dort unten bleiben. Es dauerte seine Zeit, einen Pferdekopf leer zu fressen, ihn mit einem Aalmaul zu säubern.

    Malie saß neben ihm auf dem Bock. Sie sah blass aus, hoch oben auf ihren Wangenknochen prangten rote Flecken. Ihr Zopf hatte sich gelöst. Das war ihr schnurz. Er hing schwer und glänzend über ihre Schulter.
    »Bist du krank?«, fragte der Vater und wollte unter ihrem Kleid eine ihrer schmalen Fesseln umfangen.
    Sie schlug seine Hand weg und griff zu ihrer Marktfrauenstimme: »Ich hab Schmerzen. Da unten. Und daran bist bestimmt du schuld, du Tropf !«

    Alfred ließ die Wagenräder über ein besonders großes Schlagloch rattern, sodass das Scheppern des leeren Aalwagens ihm eine kurze Frist schenkte. Wenn sie so redete, erinnerte sie ihn an ihre Mutter, und das gefiel ihm überhaupt nicht.
    »Aber, aber, du ängstliches Täubchen, jetzt bist du bald erwachsen. Jetzt wird es da unten langsam und friedlich zugehen. Und dann wirst du deinen alten Vater sicher

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