Das Erbstueck
in Berlin,
deswegen muss ich nächstens wieder hin.
Aldo Pinelli. Gesungen von Marlene Dietrich
D as Krankenhausgelände von Sundby lag im grauen Regen da. Die Farbe blätterte von den Doppeltüren ab, die vermutlich zur Kapelle führten. Erst war der Krebs im einen Lungenflügel aktiv geworden, dann im Unterleib, dann hatte er zum Abschluss in die Leber gestreut. Ihre letzten Wochen hatte sie im Morphiumrausch verbracht. Ib wollte nicht darüber sprechen. Ich wusste nur, dass sie ihn in einem wachen Moment darum gebeten hatte, ihr bei seinem nächsten Besuch Nagellack und eine Flasche Rotwein mit Schraubverschluss mitzubringen, die sie vor dem Personal verstecken könnte.
Die Tropfen liefen an einem schwarzen Lattenzaun hinunter, der einen auf der anderen Straßenseite gelegenen Friedhof umgab. Dort also lagen Menschen begraben, deren Hinterbliebene sich ein mit einem Namen versehenes Grab wünschten, das sie besuchen konnten. Sie wollten es mit Blumen und Buchsbaum bepflanzen, sie hatten vor, Tränen zu vergießen. Ich blieb stehen und betrachtete die hohen Lanzen, die ihre Spitzen in den Himmel ragen ließen und gemeinsam einen Zaun ergaben. Ich stellte mir Ritter vor, die hier begraben waren, Ritter in Rüstung und zu Pferde, Seite an Seite, die Lanzen straff und parallel in die Luft gereckt. Ib war hineingelaufen, um zu fragen, warum die Türen der Kapelle abgeschlossen waren.
Eine ältere Frau wanderte auf dem Friedhof hin und her und
schien den richtigen Grabstein zu suchen. Hier und dort bückte sie sich mühsam und entfernte wilden Mohn und andere Pflanzen von den Namen und buchstabierte sich hindurch, während sie den Nasenrücken wie eine Ziehharmonika kräuselte, um ihre Brille oben zu halten. Stian stand ein Stück von mir entfernt, zusammen mit Mutter und Lotte. Keine von uns hatte einen Regenschirm mitgebracht. Mutter schüttelte sich die Regentropfen aus den Haaren, wie ein Hund, als Ib endlich die Schlüssel brachte und die Tür öffnete.
Der Innenraum war gerade groß genug für einen Sarg und zehn Stühle, die ihn in einem dichten Halbkreis umstanden. Die Wände waren kahl, abgesehen von einem schlichten Messingkreuz, ohne Jesus. Das hier war offenbar nicht die eigentliche Kapelle, sondern ein Nebenraum. Der Boden war von grau gefugten, weißen sterilen Fliesen bedeckt. Es gab in dem Raum nicht eine einzige Blume. Der Sarg ruhte auf einer Holzkonstruktion mit praktischen Rädern.
Zwei ältere Frauen erschienen Arm in Arm, sowie wir die Kapelle betreten hatten; wir fuhren herum, weil kein Licht mehr durch die offene Tür fiel, und da standen sie dann. Ich kannte sie nicht, aber Ib stellte sie munter als zwei welke Blumen des Røde-Kro-Theaters vor. Die eine, die violette Haare hatte, hielt einen gut gemeinten Rosenstrauß in der Hand. Die andere blieb mit versteinertem Gesicht stehen. Die mit den Rosen erzählte, ihre Freundin sei durch einen Schlaganfall taub geworden.
»Aber wir möchten doch so gern von unserer Thalia Abschied nehmen. Sie war doch unser großer Star, noch besser sogar als Marlene. Es war so schade, dass sie ihre Karriere aufgeben musste. Findet es also hier statt?«
Die Rosen waren tiefrot, fast schon schwarz.
»Hier findet gar nichts statt«, sagte Mutter mit harter Stimme. »Aber hier ist es. Und danach ist Schluss.«
Die Rosen wurden auf den Sargdeckel gelegt, und wir nahmen
Platz. Unsere Knie waren nur Zentimeter vom Sarg entfernt, nur Stians nicht. Wir warteten auf den Krankenhauspastor. Wir warteten schweigend. Und ohne dass Mutter oder Ib das gewollt hätten, versanken wir routinemäßig in Begräbnisstimmung, mit im Schoß gefalteten Händen, die Blicke zu Boden gesenkt – zu dem kleinen Teil, den wir davon sehen konnten, da Sarg und Knie uns den Blick versperrten. Wir räusperten uns, bewegten vorsichtig die Füße. Die beiden älteren Damen saßen nebeneinander und bewunderten die mitgebrachten Rosen. Ein weißes Band hielt die Stängel zusammen, kräftige Stängel mit stahlharten Dornen.
Dort lag sie also, drinnen in der Dunkelheit. Klein und tot. Bald würde sie zu Asche verbrannt, fast vernichtet werden. Finger, Haare, Kniegelenke und Becken, Nase und Mund, alte vertrocknete Brüste, die einst hungrige Babymünder gefüllt hatten. »Therese, ich habe einen Künstlerinnenkörper. Einen Körper, der von den harten Forderungen der Kunst gequält worden ist, von der unermüdlichen Arbeit, eine Muse für Trauer und Freude und Schönheit zu sein!«
Ich
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