Das Erbstueck
Verrecken vor der Nase der armen Schlucker mit Juwelen und Gold herumwedeln muss! In geistreichen Momenten, in denen die nächste verdiente Krone unendlich weit entfernt zu sein schien, ließ man Lenin die Sache des dänischen Arbeiters vertreten. Nach vier Schnäpsen war man Sozialdemokrat bis auf die Knochen und wollte am nächsten Morgen dem Müller oder dem Besitzer der Holzschuhfabrik nachdrücklich klar machen, was ein ehrlicher Arbeiter an Lohn und Arbeitszeit und im Unglücksfall an Unterstützung erwartete. Aber in der nächsten Sekunde war die harte Wirklichkeit zu schrecklich und unbarmherzig, um gewissermaßen zwischen den Gläsern auf dem Tisch zu liegen. Mit Schaum an der Nasenspitze wandte man sich wieder denen zu, denen es schlechter ging als den Leuten in Hvideleje: den Finnen, die wie die Fliegen an der Spanischen Grippe starben. Der Armut, die die Jüten im Westen erlebten, die über
ihrem eingelegten Hering darben mussten. Dem Konkurshaufen Nordschleswig, den Deutschland jetzt endlich an Dänemark abgetreten hatte, sodass Deutschland nicht mehr ganz so über alles war. Über König Christian, der sich die neuen Länder gerade angesehen hatte, wohlgenährt und hoch zu Ross, bejubelt von den armen Menschen, die in ihrem Hungerwahn die Wahl zwischen zwei Übeln gehabt und sich per Volksabstimmung für ein Dänemark entschieden hatten, wo die Landwirtschaft durch die Zwangsabgaben bereits zugrunde gerichtet war.
»Ja, der König, der muss auch noch damit prahlen, was ihm da angedreht worden ist.«
»Wo er doch Island und die westindischen Kolonien verloren hat.«
»Und seine Macht!«
»Pah! Die hat er noch, er muss sie nur mit dem Reichstag teilen!«
Und dann wollten sie sich ausschütten vor Lachen über den zehnten Diener, wie sie ihn nannten, und zwischen braunen Wänden und mit heißem Blut schafften sie es, sich etwas größer vorzukommen als der König, dem das eine Land nach dem anderen wie Sand zwischen den Fingern zerrann, und dessen absolute Macht über den Jordan ging. Außerdem musste er durch das halb deutsche Armenhaus reisen und so tun, als sei er zufrieden mit diesem Tausch. Aber dass die Krone, die man zwischen den Zähnen zerkauen konnte, jetzt auch noch im Wert fiel, das wollte ihnen nicht gefallen.
»Manche sind im Krieg zu gewaltig viel Geld gekommen.«
»Und jetzt lachen sie über uns andere, die gerade über die Runden gekommen sind.«
In solchen Momenten konnte Alfred Jebsen die Ellbogen auf den Tisch aufstützen, seinen Schnaps auf einen Zug kippen und sagen: »Aber auf dem Friedhof sehen wir uns dereinst wieder, und zwar hoch und niedrig, reich und arm, König und Bettelmann. Wenn das Urteil über uns kommt und unsere Stunde
schlägt, dann ist verdammt noch mal nicht die Rede von Aufschub bis Neujahr oder Michaelis.«
Dann kam es vor, dass Agnes ihm einen langen Blick zuwarf, den anderen in der Schankstube aber fiel nichts auf. Sie hatte ihren Verdacht. In der Schenke hatte es während des Krieges wahrlich nicht an Rohwaren gefehlt, aber er hatte nie verraten wollen, woher er die bezog. Einzelne im Dorf hatten auch so allerlei Gerüchte gehört und nannten ihn insgeheim den Juden, obwohl er durchaus großzügig anschrieb und die Leute trinken ließ, bis sie bezahlten. Und das taten sie immer, wo sollte ein Mann in Hvideleje denn sonst ein schattiges, friedliches Ruheplätzchen finden?
Malie hatte das Geld vom Schwarzmarkt gesehen. Sie hatte es gefunden, als sie die Matratzen gereinigt und gelüftet hatte. Es waren dicke Bündel aus Banknoten. Sie wagte nicht, sie zu zählen. Sie wusste, wo sie lagen und dass es viele waren. Sie glaubte, dass sie ihren Eltern gehörten, dass sie sie in den vielen Jahren in der Wirtschaft verdient hatten.
Sie ließ sie liegen.
D ie nächtlichen Besuche des Vaters nahmen ein Ende, als Malie zu bluten anfing. Dafür sorgte die Madame. Kinder der Blutschande wollte Agnes Jebsen nicht im Haus haben und auch nicht im Heidekraut zur Welt kommen sehen. Sie war von ihrer Familie verstoßen worden, musste sich in der Kneipe abplacken und litt unter den vielen Sauftouren und Frauengeschichten ihres Mannes, und das alles hatte ihr die feineren Gefühle geraubt, aber an ihrer Vernunft war weiterhin nichts auszusetzen. Sie nahm kein Blatt vor den Mund: »Von jetzt ab schläfst du bei mir oder bei Simon-Peter und nicht bei Malie.«
»Oder anderswo«, sagte er und legte die Arme um ihre Viehh üften.
»Oder anderswo«, sagte sie, und in diesem
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