Das Erbstueck
Nazibonzen war am selben Tag gestorben.
»Der Alkohol hat ihn geholt«, sagte Käse-Erik. »Er ist unter zwei Brauereipferde von Carlsberg gefallen.«
Sie heulten vor Lachen, und die Mutter war in ihrem Element. Ruby fiel auf, wie oft sie vorn ihr Kleid hinunterzog, bis der Spalt zwischen ihren Brüsten zu sehen war, und wie sie im Sitzen den Rock über ihre Oberschenkel hochgleiten ließ. Sie lachte laut und viel, und der Wein färbte ihre Zähne blau, und als einer der Theaterleute sie bat, zu singen, schaute sie kokett zum Vater hin über, der gerade eine Pause vom Modernen einlegte.
»Mogens, mein Geliebter, heute Abend schaffe ich den Blauen vielleicht, ohne zu heulen. Was ist schon meine verlorene Karriere gegen einen gewonnenen Krieg ...«
Die anderen applaudierten und riefen: »Sing, sing, gib uns den ›Blauen!‹«
Der Vater seufzte, lächelte aber gleichzeitig. Ruby schmiegte ihr Gesicht ins Kaninchenfell. Das duftete nach Heu und lebendem Tier. Es roch nach Frieden und Glück, und bald würde Anna nach Hause kommen.
Die Mutter setzte sich elegant vor das Klavier und stellte das Glas auf die Kante. Die anderen drängten sich mit leuchtenden Augen um sie zusammen. Ib sprang auf und ab und rief: »Meine Mutter singt, meine Mutter singt!«
Der Vater schlug die Akkorde an. Er kannte sie. Er hatte sie offenbar schon früher gespielt. Vielleicht damals, als sie das Radiogrammofon noch nicht gehabt hatten.
Die Mutter breitete die Arme aus, wie um sie alle zu umarmen, und fing an:
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,
ja, das ist meine Welt, und sonst gar nichts,
das ist, was soll ich machen, meine Natur,
ich kann ja Liebe nur, und sonst gar nichts.
Männer umschwirrn mich wie Motten das Licht,
wenn sie sich verbrennen, dafür kann ich nichts ...
Die Gäste jubelten. Ib starrte hingerissen zu seiner Mutter hoch. Ruby stand mit dem Kaninchen im Arm neben ihrem Vater. Sein Gesicht hatte sich verändert, während die Mutter gesungen hatte. Es wurde glatt um Augen und Mund, wie dann, wenn man etwas betrachtet, das man liebt, so wie Dasse ausgesehen hatte, wenn sie Søren angeschaut hatte, oder jetzt, bei dem neuen Baby. So wie Mutter Ib angesehen hatte, als er noch kleiner gewesen war. Nicht einmal, wenn die Mutter sich beim Fliegeralarm im
Keller an den Vater angelehnt hatte, hatte sein Gesicht diesen Ausdruck gezeigt.
Ruby stürzte hinaus in den Garten und zum Rhabarber, aber die Blätter steckten gerade erst ihre Spitzen aus dem Boden. Sie setzte sich auf den Boden. Fried fand das aufregend und wollte wegspringen. Wenn der Vater die Mutter liebte, müsste sie ihn verlieren. Sie presste Fried an sich.
»Du musst hier sein«, flüsterte sie. »Ganz ruhig. Hier bestimme ich.«
Doch nach dem Lied war alles wieder so wie vorher. Die Mutter trank und schwankte auf ihren Stöckelschuhen. Der Vater schob die Flaschen von ihren Stuhlbeinen weg und verzerrte das Gesicht auf die übliche, beruhigende Weise. Die Mutter lachte über alles, was diskutiert wurde. Ihr Träger glitt ihr von der Schulter, und der Vater schob ihn wieder hoch. Sie schwenkte die Flaggen und rauchte mit gespreiztem kleinen Finger und wollte mit Käse-Erik Liegetango tanzen, aber der Vater wollte nicht mehr spielen. Da rief sie nach Ruby:
»Komm her, mein kleiner Rubin! Mutter will dich küssen!«
Ruby ging langsam auf den Stuhl der Mutter zu. Die Lampions leuchteten zwischen den Blättern wie Sonnen, wie orange Löcher in der Nacht. Fried saß wieder in seinem Käfig. Sie hatte nichts, woran sie sich festhalten könnte, und plötzlich machte sie sich auch Sorgen um ihre Haarschleife. Sie hing schwer und schief in ihre Augen. Die Mutter riss sie an sich und drehte sie rasch zu den Gästen um.
»Ist sie nicht groß und schön geworden? Mein kleines Mädchen ...«
Tante Oda beugte sich vor und streichelte ihre Wange.
»Sie war mir während des Krieges eine solche Stütze, nicht wahr, Herzchen? Hat auf Ib aufgepasst und nicht über hässliche Kleider geklagt. Aber jetzt haben wir Frieden, mein Schatz, jetzt wird alles gut. Komm her, Mutter will dich küssen ...«
Der Vater erhob sich. »Schluss jetzt, es ist drei Uhr, der kleine Rubin muss ins Bett.«
Er führte sie ins Haus. Das Lachen der Mutter ragte hinter ihnen auf wie eine Wand. Ruby hätte ihrem Vater gern etwas gesagt, etwas, um das Lachen zu vertreiben, aber alles, was sie herausbrachte, war: »Danke für das Kaninchen, Papa. Es heißt Fried.«
»Das ist ein
Weitere Kostenlose Bücher