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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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während die Hummeln schwerfällig herumflogen, zog sie eine kleine, flache Schachtel aus der Tasche und reichte sie Ruby.
    »Das ist für dich«, sagte Tante Oda. Ihr standen Tränen in den Augen. »Die hat meiner verstorbenen Schwester Elisabeth geh ört.«
    Die Schachtel enthielt eine goldene Armbanduhr, deren Zifferblatt von einem wunderschönen Ring aus Perlmutt eingefasst war.
    Ruby machte einen Knicks, obwohl sie saß. Sie wusste nicht, dass Tante Oda eine Schwester gehabt hatte, sie wusste im Grunde gar nichts über Tante Oda.
    »Tausend Dank«, flüsterte sie und dachte, wie entsetzt Tante Oda gewesen wäre, wenn sie die Uhr, statt sie um ihr Handgelenk zu legen, auf den Boden geworfen hätte und darauf herumgetrampelt wäre. Bei diesem Gedanken hämmerte ihr Herz los. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Rasch band sie die Uhr um. Und nun hatte sie den Arm einer erwachsenen Frau.

    Zu Hause in Amager stritten die Eltern sich in der Küche, während Ib ihr um den Hals fiel. Der Vater strich ihr kurz über die Haare. Tante Oda sagte: »Ihr könnt ja wohl ein Päuschen im Lärm einlegen, solange ich hier bin. Ich habe allerlei gute Sachen in meinem Korb, also lasst uns im Garten den Tisch decken.«

    Die Mutter wischte sich die Augen, und der Vater putzte seine Brille.
    »Ich mache aber auch alles falsch«, sagte die Mutter.
    »Manches ist schlimmer als anderes«, erwiderte der Vater. Seine Stirn war braun, und die blässere Haut, die er oft mit einem an den Ecken verknoteten Taschentuch vor der Sonne schützte, zeichnete sich deutlich davon ab.
    »Aber, aber«, sagte Tante Oda. »Jetzt decken wir den Tisch. Ich habe Krammetsvogel und Taubenpastete und mit Schmalz gebackenes Roggenbrot. Wenn man also dazu einen Schluck zu trinken haben könnte ...«
    »An Getränken herrscht hier im Haus wahrlich kein Mangel«, sagte der Vater.
    Ruby graute vor dem Abschied von Tante Oda, obwohl der Vater während des Essens auftaute und sie auf den Schoß nahm und behauptete, er hätte es keinen Tag länger ohne sie ausgehalten. Er fand die Armbanduhr wunderschön, und Tante Oda lächelte, doch niemand erwähnte die tote Elisabeth.
    »Herrgott, was bist du gewachsen«, sagte die Mutter, der Zigarettenrauch floss wie weißer Schaum aus ihrem Mund. »Das wird ja wohl ein teurer Schulbeginn.«
    »Ich glaube, gerade das Thema können wir uns für den Moment sparen«, sagte der Vater mit harter Stimme.
    »Die Schule?«, fragte Ruby.
    »Nein. Das, was hier auf dieser Welt teuer ist«, sagte der Vater.

    Zum Glück stritten sie sich dann erst wieder, als Ib im Bett lag und sie selber zusammen mit Fried auf dem Schoß im Rhabarberbeet saß. Sie konnte sich nicht an ihm satt sehen und streichelte immer wieder seine Ohren. Wenn sie die Augen schloss, wurden sie zu Pferdeohren. Sie konnte jederzeit zum Strand laufen. Sollten die Eltern sich doch zanken.
    Aber sie zankten sich nicht aus dem üblichen Grund. Nicht über Feste und Trinkereien und Flirts und morgen früh raus, und
muss ja wohl nicht wach sein, um blaue Streifen auf Porzellan zu malen. Es ging um Geld.
    »Und wie hast du vor, ihr das zurückzuzahlen? Das hast du mir noch nicht verraten, meine Liebe«, sagte der Vater, mit einer Art zuckersüßer Stimme, von der sogar Ruby begriff, dass sie die Adressatin zur Weißglut bringen konnte.
    »Ich nehme eine Rolle an. Das habe ich doch schon gesagt!«
    »Eine Rolle. Eine Rolle. Glaubst du, Rollen wachsen auf Bäumen? Es ist zwölf Jahre her, dass du zuletzt eine hattest. Zwölf Jahre. Du kennst doch keinen Menschen.«
    »Ich kenne Hansi. Ich kenne Gotfred. Ich kenne Snutt. Ich kenne Bæppe.«
    »Bæppe? Von dem habe ich noch nie gehört. Und die anderen rangieren in der Branche doch unter ferner liefen. Sie sind fünf Jahre lang hergekommen, um sich den Bauch voll zu schlagen. Hier ist die Rede von mehreren hundert Kronen!«
    Die Mutter verstummte. Sie verstummte auf eine Weise, die Ruby verriet, dass es da irgendetwas gab, bei dem sie nicht ertappt werden wollte, es war wie bei den Affen im Zoo. Der Vater schien das auch zu durchschauen, denn er sagte:
    »War das alles? Sag mir, wie viel sie dir gegeben hat.«
    »Ich weiß es nicht so genau. Mogens, kannst du nicht einfach...«
    »Tausend.«
    »Vielleicht.«
    »Weiß Erik Bescheid?«
    »Nein, der doch nicht. Sie haben sich doch gerade erst neue Renaissancemöbel gekauft, Mogens. Der ist kein Mann, der jede Münze zweimal umdreht. Wenn Tutt sich etwas wünscht, dann kriegt sie das

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