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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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fällt in den Staub!«, wollte er die anderen antreiben, doch nun ertönte im Gehölz ein französischer Ruf Santings, und darauf entluden sich alle Gewehre seiner Schergen, so schien es, mit einem Mal. Kleist duckte sich unter der tödlichen Salve hinweg und kam schmerzhaft auf, aber sofort war er wieder hinter seiner Deckung, um die Schüsse der Franzosen drei- und vierfach zu vergelten. Jede seiner Kugeln wurde von den giftigsten Schmähungen begleitet, und bald rannen ihm Tränen der Wut und der Verzweiflung aus den Augen.
    »Das wird ein blutiger Abend«, ächzte Schiller und schoss Bolzen auf Bolzen dorthin, wo er den Feuerstein über den Pfannen aufblitzen sah. Im Dämmerlicht waren Menschen nicht mehr wahrzunehmen.
    Dieser zweite Angriff war deutlich heftiger als der ers te, und im Schutz der Dunkelheit und des Feuers ihrer Ka meraden avancierten die Franzosen und zogen den Kordon um den Musentempel von Minute zu Minute enger. Je näher der Feind kam, desto verwundbarer war er aber auch, und so traf einer von Schillers Bolzen das Bein eines Mannes, während Arnim und Kleist einen weiteren im Doppelfeuer austilgten.
    Goethe, der am äußersten Rande der Höhle Stellung bezogen hatte, presste gerade das Pulver in seinem Terzerol fest, da erschien wenig vor ihm ein Franzose, die Muskete im Anschlag. Goethe schoss sofort, sodass kein Blei, sondern vielmehr der Ladestock herausgesprengt wurde und dem Angreifer geradewegs in die rechte Hand hinein, wo er den Daumen zerschlug. Die Kugel des entgeisterten Franzosen traf nur Felsen, und noch ehe der Verletzte die Flucht antreten konnte, hatte ihm Kleist vor den Kopf geschossen. Direkt vor ihrem Tempel blieb die Leiche des Angreifers liegen, und nicht wenige französische Kugeln verirrten sich im Laufe des Gefechts noch in das leblose Fleisch. Nach diesem missglückten Vorstoß ihres Kameraden getrauten sich die gegnerischen Soldaten nicht mehr aus der Deckung. Goethe aber hatte dieses Ereignis so aufgewühlt, dass er fortan nicht mehr selbst schoss, sondern stattdessen die Waffen der anderen in der zweiten Reihe nachlud.
    Bald waren ihre Patronen verschossen, und sie mussten, eine ungleich langwierigere Aufgabe, die Rohre mit Pulver aus dem Pulverhorn füllen. Auch an Papier, mit dem sie das Pulver in den Läufen hielten, fehlte es. Nun opferte Kleist freien Willens die Reste seines Lustspiels: Die Gefährten rissen die Seiten entzwei, stopften seine Worte mit dem Ladestock in ihre Waffen und schossen sie mit Pulver und Blei auf ihre Gegner ab.
    Als Nacht die Dämmerung abgelöst hatte, verstumm ten die Salven der Franzosen. Freund und Feind waren im Dunkel nicht mehr zu erkennen, und jede weitere Kugel war verschenkt. Kaum dass die Schüsse verhallt waren, richteten einige Raben ihre schwarzen Segel auf die Bäume am Lager, wo das heiße Felsgefecht ihnen ein reiches Abendmahl aufgetischt hatte. Die Gefährten tranken und rieben sich den Schweiß von der Stirn, derweil Kleist eine Inventur ihrer Rüstkammer machte. Niemand sprach von den drei Verschwundenen, von Bettine, Humboldt und von Karl, aber jeder fragte sich insgeheim, wer als Nächstes die Gruppe verlassen würde und durch welche Umstände.
    »Wie ruhig es dort draußen ist«, sagte Arnim.
    »Die Ruhe eines Kirchhofs«, erwiderte Schiller. »Sie planen einen weiteren Angriff.«
    »Ein drittes Mal halten wir ihnen nicht stand«, sagte Kleist, nachdem er die Waffenschau abgehalten hatte. »Verwünscht das Los mir dieses Tages!«
    »Wir haben doch Pulver genug?«
    »Pulver genug, die Erde gegen den Mond zu sprengen. Es ist das Blei, das bald zur Neige geht. Zwo Dutzend Schuss tout au plus , dann müssen unsre Waffen Hungers leiden.«
    Goethe tat einen Blick ins Dunkel. »Und draußen harren die Franzosen wie Wölfe um einen Baum, auf den ein Reisender sich rettete.«
    Die Gefährten schwiegen. Arnim fand bei den Vorräten eine Wurst, an der er lustlos kaute. Kleist putzte den Staub von seinen Pistolen. »Von welschen Hunden in Germanien zerrissen: Das wird die Inschrift meines Grabmals sein.«
    »Meine Herren«, sprach nun Goethe, »bitte hören Sie mich an, denn ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten: Wir tun es Herrn von Arnim gleich und speisen zu Abend. Dann gürten wir uns die Säbel um, spannen die Hähne, pflanzen die Bajonette auf, sprechen ein Vaterunser und machen, frisch gewagt und frisch hinaus!, einen Ausfall im Schutz der Dunkelheit.«
    Die anderen gaben nicht sogleich Antwort darauf. Dann

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