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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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es einen Moment still, bis die Antwort kam: »Welche wiederum dieser Mann hierherbestellen sollte?«
    Und nun traten zwei Männer vor den Waldessaum. Der hintere war Capitaine Santing, in einfachen Reisekleidern, das rechte Auge von einer schwarzen Augenklappe bedeckt – der vordere aber war Alexander von Humboldt, im Mund einen Knebel, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, die Füße in Eisen und Santings Pistole an der Schläfe. Kleist blieb der gottlose Fluch in der Kehle stecken. Er wurde weiß wie der Kalkstein um ihn. Auch die anderen Gefährten erhoben sich hinter ihren Deckungen, um sich zu vergewissern, dass ihre Augen ihnen in dieser Dämmerstunde keinen bösen Streich spielten.
    »Allbarmherziger«, murmelte Arnim.
    Der Capitaine führte seinen Gefangen bis zur Mitte der Senke, vor die Zelte ihres Lagers, ein bösartiges Lächeln auf den Lippen. Was aus Humboldts Augen sprach, das konnte niemand entziffern.
    »Niemand entkommt dem großen Napoleon«, sprach Santing, »weder in seinem Reich noch anderswo. Sie haben einen zwar eindrucksvollen, aber dennoch nutzlosen Fluchtversuch unternommen, der nun gescheitert ist. Ich räume ein, dass ich zwischendurch etwas Angst um meinen Rang hatte, denn ohne den Dauphin hätte ich mich sicherlich nicht wieder in Frankreich zeigen können. Genug dessen: Geben Sie mir Capet, und erhalten Sie im Gegenzug Ihren Freund. Und umso eher können wir alle heim.«
    Der Hieb traf sein Ziel. Keiner der fünf fand mehr zur Sprache. Goethe setzte mehrmals vergebens an, etwas zu sagen, und gab es dann auf. Kleist knirschte hörbar mit den Zähnen. Von Karls Stirn rann der Schweiß in breiten Bahnen und vermengte sich mit dem mehlgleichen Staub der Höhle. Er zitterte, und die Muskete in seiner Hand zitterte mit ihm. Schiller wich seinem Blick aus. Arnim betete nun für beide, Bettine und Humboldt.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte der Capitaine. »Hat man Ihnen die Zungen geraubt?«
    »Einen Moment der Geduld«, rief Goethe.
    »Ich habe keine Geduld mehr. Ich jage Sie seit beina he einem Monat, und bin dabei eines meiner Augen verlus tig gegangen. In Mayence wartet man längst auf mich und Capet. Fünf Minuten, nicht mehr, dann setze ich Ihrem glücklosen Kurier eine Kugel in den Kopf.«
    Kleist nahm den Blick von Humboldt und wandte sich Schiller und Karl zu. »Also nun, Karl«, sagte er nicht ohne Mühe, »ist es an dir, Alexanders Leben zu retten.«
    »Nicht so hastig«, sagte Schiller, und gleichzeitig sag te Goethe: »Einen Augenblick!«
    »Wir haben keinen Augenblick«, sagte Kleist und leg te Karl eine Hand auf die Schulter. »Karl schwor an den Ufern des Mains, seinen letzten Blutstropfen für uns zu geben, sollten wir je in Gefahr geraten. Heute kannst du dein tapferes Versprechen einlösen.«
    »Sie werden mich töten, wenn ich zu ihnen gehe«, klagte Karl.
    »Das weißt du nicht. Aber du weißt, dass sie, solltest du nicht gehen, Alexander töten werden.«
    »Und uns hintendrein«, fügte Arnim hinzu, und Kleist tat eine Geste der Zustimmung.
    Goethe verließ seine Deckung. »Erlauben Sie, dass ich ein Wort en privée mit Herrn Schiller wechsele.«
    Schiller folgte ihm, und gemeinsam krochen sie am gelöschten Feuer vorbei ins Hintere des Musentempels, um unbelauscht sprechen zu können.
    »Verwünscht«, brummte Schiller, »dreimal verwünscht sei diese Reise!«
    »Er ist nicht der Dauphin«, stellte Goethe fest.
    »Das ist mir gleich. Dauphin oder nicht, selbst wenn er ein Betrüger ist, ich liebe ihn wie meinen eignen Sohn und will, dass er lebt.«
    »Mein Herz wirft sich mir im Leib herum bei dem Gedanken! Aber ich habe zu Anfang dieser Reise beschlossen, das Leben der Retter über das des Geretteten zu stellen. Ich will nicht, dass Herrn von Humboldts Tod auf meinem Gewissen lastet. Auch nicht um den Preis von Frankreich. Nicht einmal um den Preis von ganz Europa. Der Herzog wird es, der Herzog muss es verstehen.«
    Schiller nickte. »Karl wird gehen. Heinrich spricht wahr: Sie werden ihn nicht töten. Zumindest nicht hier. Aber ich möchte, dass Karl aus freien Stücken geht. Ich will nicht, dass er sich nur im Zwang für Alexander hergibt.«
    »Wird er freiwillig gehen?«
    »Er wird. So, wie ich ihn kennengelernt, und so, wie ich ihn erzogen habe, hat er die Größe für dieses schwerste aller Opfer.«
    Goethe drückte beide Hände auf Schillers Arm und kehrte dann zurück zu den anderen. Karl schickte er zu Schiller. Vom Lager verkündete Santing, dass zwei der

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