Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
sprach Schiller, wobei er seinen Säbel blankzog: »So mag sich’s rasch und blutig denn entladen. Stoßen wir ihnen unsre Federn in den Leib und ziehen die rote Tinte aus dem Fass. Tod oder Freiheit! Wenigstens sollen sie keinen lebendig haben!«
    »Tod oder Freiheit!«, wiederholte Arnim. »Kein seligerer Tod ist in der Welt, als wer vom Feind erschlagen. Auf, ihr meine deutschen Brüder!«
    Unvermittelt purzelte ein Stein vom Felsvorsprung herab und fiel vor dem Musentempel zu Boden. Die Gefährten hielten den Atem an. Weitere kleine Steinchen und Kiesel folgten dem ersten, und Geräusche waren von über der Höhlendecke zu hören.
    »Sie sind über dem Fels«, flüsterte Schiller.
    Augenblicklich griffen die vier zu den Waffen, den Finger am Abzug, den Kolben an der Schulter, in der Erwartung, von der Felskante würden sogleich ihre Angreifer herabklettern. Aber der Eingang blieb leer. Wenig später tönten Hammerschläge durch das Gestein.
    »Übt sich, zum Teufel!, diese Otternbrut jetzt als Dachdecker?«, zischte Kleist.
    Untätig lauschten sie dem Klopfen und Knirschen und konnten sich keinen Reim darauf machen. Wenig später verstummte das rätselhafte Handwerk wieder, und Schrit te entfernten sich.
    »Was zur –«, hob Goethe an, aber Schiller hieß ihn mit einer Geste, still zu schweigen. Denn nun war ein neues Geräusch zu vernehmen: ein Zischen, das zunächst kaum vom Wind in den Bäumen zu unterscheiden war. Aber anders als das Geraschel des Laubes ging es gleichförmig, wie Dampf, der aus einem Wasserkessel entweicht.
    Wieder einmal war es Kleist, der vor allen anderen begriff. »Zurück!«, schrie er aus voller Kehle, und ohne Rücksicht auf seine Deckung sprang er auf, um ins hinte re Ende des Musentempels zu stürmen. »Beim lebendigen Gott, her zu mir!«
    Mit einiger Trägheit, aus Unverständnis geboren, folgten ihm die drei zur Rückwand der Höhle, gegen welche sich Kleist mit aller Kraft presste, und kaum dort angekommen, tat es über ihnen eine so ohrenbetäubende Explosion, als hätte man einen Kienspan in des Kaisers Pulvermagazin geschleudert. Die Erde bebte so stark, dass Goethe sich nicht auf den Beinen halten konnte. Über ihnen schoss ein schwarzer Riss quer durch den Kalkstein, und mit einem Mal brach der gesamte Vorsprung vom Rest des Felsens ab, zersplitterte beim Fall, brüllte dabei wie ein wildes Tier und stürzte in einer Wolke aus Staub und Steinen nieder. Die hungrigen Raben stiegen wieder auf und suchten krächzend das Weite. Weitere Felsbrocken fielen herab und rollten über den gewesenen Vorsprung in die Senke, und Bäume, denen der Boden unter den Wurzeln weggerissen worden war, krachten gefällt nieder. Bis zuletzt hagelte Geröll auf die Überres te des Höhleneingangs herab. Dann war es wieder still, und während der Pulverdampf in einer Wolke aufwärts in den Nachthimmel stieg, senkte sich der Staub wie schwerer Nebel auf das verlassene Lager.
    Eingangs getraute sich Schiller nicht einmal zu husten, in der Furcht, jede Erschütterung könnte einen weiteren Bergrutsch zur Folge haben. Aber lange konnte er den Reiz nicht niederkämpfen. Als er ihm endlich nachgab, hustete auch neben ihm ein Jemand, aber wer es war, das konnte er nicht hören und sehen noch minder, denn es war pechrabenschwarz. Er ging auf die Knie und kroch tastend über den Boden in die Richtung, in der er ihr ehemaliges Feuer vermutete. Unter Geröll und Staub bekam er schließlich ein verkohltes Stück Holz zu fassen, und damit stocherte er in der Brandstelle herum, bis ihm durch den Staub rote Glut am Endes eines trockenen As tes entgegenleuchtete. Schiller blies so lange darauf, bis sich das Holz wieder entzündete, und mit einigem weiteren unverbrauchten Brennholz hatte er bald ein kleines Feuer entfacht.
    In den Trümmern des Musentempels, durch die Sprengung der Franzosen nun auf eine enge Kammer reduziert, waren die vier Gefährten, so nicht unbeschadet, zumindest aber lebendig versammelt. Arnim stand gegen die Wand gelehnt und prüfte mit einer Hand den Zustand seiner Nase, aus deren beiden Löchern das Blut tropfte. Kleist spuckte so viel vom pulverisierten Kalkstein aus, dass sein Speichel geronnener Milch glich. Goethe schließlich lag mehr, als dass er saß, und drückte ein Tuch auf sein Haupt, dort, wo ein fallendes Gestein ihm die ewig gleiche Wunde von neuem aufgerissen hatte. Kleist half ihm wieder auf die Beine.
    Gemeinsam betrachteten sie den Schaden, aber es brauchte weder viel

Weitere Kostenlose Bücher