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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Scharade ist, ob er selbst einer der Urheber ist oder nur ihr Instrument, habe ich ihn aus Angst vor der Antwort nicht zu fragen gewagt. Aber Sie, Madame, wissen es sicherlich.«
    Madame Botta schüttelte den Kopf. »Ein Doppelgänger des Königs? Das ist eine ungeheuerliche Geschichte, die Sie da erdichten. Und unglaublich obendrein.«
    »Unglaublicher als die märchenhafte Befreiung des todkranken Dauphin aus dem Temple durch die Kaiserin Joséphine und unglaublicher als seine zehn Jahre währende Flucht durch Frankreich, Europa und Amerika? – In den vergangenen Tagen haben wir dem Tod in hundert wechselnden Gestalten ins Auge geblickt, um ihren Dauphin zu retten. Haben Sie also in Anerkennung unsrer Leistungen die Größe, uns wahrhaft zu antworten.«
    Sophie Botta schwieg. Alle schwiegen. Schiller löste die verschränkten Arme und schenkte sich aus der Flasche einen Schluck Wein ein.
    Die Tür öffnete sich, und Voigts Kopf erschien. »Euer Gnaden, der König ist erwacht. Befehlen Euer Gnaden – « Mit einer Handbewegung hatte Carl August seinen Minister zum Schweigen gebracht, und nach einer weiteren Geste schloss Voigt die Tür wieder.
    »Wenn er erst in Nôtre-Dame zum König gesalbt wird«, sprach Madame Botta, »wird niemand mehr nach seiner Identität fragen.«
    »Und wer es doch tut, wird mundtot gemacht?«
    Auf diesen Affront erhob sich Vavel de Versay von seinem Sessel, aber Sophie Botta hielt ihn zurück.
    »Ich verstehe Sie nicht«, sagte sie. »Wollen Sie mit uns einen neuen Regenten auf Frankreichs Thron wissen, einen umsichtigen, weisen und friedliebenden Herrscher, gleich welcher Abstammung – oder wünschen Sie tatsächlich den Tyrannen Bonaparte, der sich anschickt, Europens Länder, darunter Ihres, in Blut zu tränken?«
    »Tun Sie nicht, als würde Ihnen das Wohlergehen der Franzosen am Herzen liegen oder der Frieden in Europa. Ihnen geht es darum, die Macht zu erlangen. Wäre Ihr neuer König mit den gleichen Eigenschaften und Zielen ausgestattet, wie es Napoleon jetzt ist, Sie würden nicht zögern, seine Kriege zu befürworten.«
    »Aber das ist er nicht! Er wäre ein guter König!«
    »Und wäre er der beste König, er wäre noch immer ein falscher König. Solch Gaukelspiel betrüge nicht die Welt!«
    Sophie Botta tat den Seufzer einer, die unfähig ist, ihr Gegenüber vom Irrtum abzubringen. »Ihre Moral ist Ihnen im Wege, Herr von Schiller.«
    Statt einer Entgegnung trank Schiller den Wein, den er sich eingegossen hatte. Die Französin blickte auf Goethe, als käme diesem die Pflicht zu, seinem Freund ins Gewissen zu reden. Aber da auch er nicht sprach, richtete sie sich auf und sagte mit plötzlicher Kälte: »Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe, Herr von Schiller, selbst wenn Sie diesen Dank abermals von sich weisen. Aber wenn Sie nach diesen Diensten für das Haus der Bourbonen zum Feind der Bourbonen werden, müssen Sie damit rechnen, als ein ebensolcher behandelt zu werden. Ich hoffe, ich habe mich unmissverständlich genug ausgedrückt.«
    Schiller ließ den letzten Tropfen Weines in seine Keh le rinnen, stellte das Glas ab und erhob sich ebenfalls. »Ge radezu peinlich unmissverständlich, Madame Botta. Aber ich war in der Unterwelt und bin zurückgekehrt. Ich fürchte keines Menschen Zürnen mehr.«
    »Zum Henker mit den Räubern und Seeräubern«, ver kündete Schiller frohgemut, als sie vom Schlosse heimwärts liefen, »mein nächstes Stück soll von einem falschen König handeln!«
    »Das kann Ihr Ernst nicht sein«, entgegnete Goethe.
    »Ich spreche freilich nicht von unserm falschen Louis. Es gab jedoch, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, in der Geschichte Russlands einen Mann, der sich als Sohn Iwans ausgab und als solcher Zar wurde. Ein faszinierendes Magazin für meine Phantasie, meinen Sie nicht auch? Auch in England geschah vor einigen Säkula dergleichen –«
    »Und sei es auch noch so faszinierend, ich flehe Sie an, mein Freund: Legen Sie sich unter keinen Umständen mit Madame Botta und den Royalisten an.«
    »Ich kann nicht Fürstendiener sein. Ich war es früher nie, und hat es mir geschadet? Ich lasse mir von diesem schlangenhaarigen Scheusal keine Angst einjagen. Erstaunlich, dass so viel Hölle in einer Frauenzimmerseele Platz hat!« Schiller schüttelte den Kopf. »Ich will ein Drama machen, das diese Schinder absolut hassen müssen, und ihre verkommene Politik auf die Schaubühne bringen. Wenn sie glauben, ich werde eine Rolle in ihrem Spiel spielen,

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