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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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und Gebäck vorbereitet, und Goethe ließ sich einen Lehnsessel in den Garten stellen, in dem er ein Schläfchen hielt. Die Decke, die ihm sein Diener über dem Schoß ausbreitete, schob der Dichter bald von sich, denn längst war der Frühling dem jungen Sommer gewichen, und Zéphyrs balsamischer Hauch umschmeichelte die Sinne. Als er erwachte, hätte er am liebsten nach einem Ross geschickt, um mit ihm in die Berge zu reiten – aber noch war er durch sein Leiden so geschwächt, dass Christiane ihn, als sie sich abends auf dem Heimweg machten, auf den Treppen am Felsentor stützen musste.
    Als sie über die Esplanade gingen, trat soeben Schiller mit seiner Charlotte aus dem Haus, in der Absicht, ein Lustspiel auf der Schaubühne zu besehen. Die Wiedersehensfreude war groß und beruhigend für Schillers die Nachricht, dass Goethe auf dem Wege der Besserung war. Und auch die leidige Wunde auf Goethes Haupt war, wie Schiller bemerkte, endlich und endgültig verheilt. Zurückgeblieben war nur eine weiße Narbe. Während die Frauen über eigene Dinge sprachen, nahm Schiller seinen Freund einen Schritt zur Seite, um von ihren Mainzer Gefährten zu hören, die er ebenso vermisste wie die goldene Zeit in Kyffhäuser-Arkadien. Doch bedauerlicherweise wusste Goethe selbst nichts von ihren ehemaligen Wahlverwandten zu berichten und auch nicht davon, was aus dem Vorhaben der verschleierten Madame und ihrer Emigrés geworden war, Karl auf den Thron von Frankreich zu heben. Als sich Goethe nach Schillers tollkühnem Entschluss erkundigte, ein Schauspiel um den falschen Zaren zu verfassen, erzählte dieser, er komme gut mit der Arbeit voran, und sein ganzes Bureau sei nun tapeziert mit Karten von Krakau bis zum Ural und mit Bildern grauer Bischöfe und grimmiger Tataren, die ihn bei der Arbeit durch buschige Augenbrauen beobachteten. Sein falscher Zarensohn unterscheide sich aber von ihrem Karl dadurch, dass er selbst nicht wisse, dass er nicht der Zarensohn sei und ebendeshalb ein moralischer Held. Mitten in seiner Erzählung übermannte Schiller ein unschöner Husten. Charlotte sah streng auf.
    »Eines der beiden Souvenirs von unsrer Reise«, erklärte er. »So viele kalte Bäder, wie ich unterwegs genommen habe, werde ich diesen Katarrh in meinem Leben nicht los. Aber große Seelen dulden still.«
    »Was ist das andere Souvenir?«
    »Noch immer die schwachsinnige Angst, ich würde verfolgt.«
    Goethe lachte, und Schiller stimmte ein. »Begleiten Sie uns doch ins Schauspielhaus! Danach trinken wir noch eine Bouteille Malaga, und ich zeige Ihnen meine Arbeit und entführe Sie ins Russland von vor zweihundert Jahren.«
    Goethe winkte ab. »Sie überschätzen meine schwache Gesundheit, junger Mann. Die Schlafmütze ruft; ich muss zu Bett. Ein andermal gern.«
    Die beiden Paare nahmen Abschied voneinander und gingen ihrer Wege. Noch bevor im Theater der Vorhang fiel, war Goethe eingeschlafen.

    In der Nacht auf den 10. Mai wurde Goethe erneut von Koliken heimgesucht, und in einem fiebrigen Albdruck sah er seinen eigenen Tod voraus, in Klosterruinen, wie sie die neudeutsch-melancholischen Maler nicht schauerlicher hätten darstellen können, inmitten einer verschneiten Waldlandschaft im Dämmerlicht. Beim Erwachen spät am Morgen war er noch erschöpfter, als er es den Abend davor beim Zubettgehen gewesen war. Christiane brachte ihm einen Tee von Kräutern und ein Tuch, das sie zuvor in heißem Wasser getränkt hatte, damit er sich den getrockneten Schweiß vom Antlitz wische. Dann schilderte er ihr seine romantischen Nachtgesichter, so gut es eben ging, und als er von seinem Tod sprach, liefen ihr mit einem Mal Tränen über die Wangen, die sie schwerlich verbergen konnte.
    »Nicht doch, mein Bettschatz«, sprach Goethe gütig lächelnd und zog sie zu sich, »es war doch nur ein alberner Traum.«
    Wiewohl er ihr über das Haar strich, begann sie nun heftig zu schluchzen, und als sie endlich wieder zu Worten fand, sagte sie: »Es ist Schiller.«
    Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Goethe begriff augenblicklich.
    »Er ist tot.«
    Christiane nickte, und ihre Tränen flossen immer unbändiger. Goethes Blick wurde starr. Im gleichen Moment wichen alle Schmerzen aus seinem Leib und kehrten sich um, und wie bis eben sein Körper gelitten hatte, litt nun seine Seele. Doch hätte man diese unvergleichlichen Schmerzen miteinander verglichen, die letzteren wären hundertfach qualvoller. Weinen konnte er nicht. Christiane berichtete, was sie

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