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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Dienste.«
    »Und was nützt mir Ihr Dank?«
    »Aus Dankbarkeit kommen wir Ihnen insofern entgegen, als wir Ihnen den athenischen Tod zubilligen.«
    Goethe lachte bitter auf. »Ich soll mich selbst morden? Ich soll den Schierlingsbecher selbst stürzen, damit Ihre feinen Hände nicht von der Sünde befleckt werden? Pfui über Sie! Pfui über Sie alle, Sie erzinfamen Buben!« An gewidert spuckte Goethe auf den weißen Damast.
    »Wenn Sie nicht freiwillig von uns gehen«, fiel Santing ein und zog ein Stilett aus dem Gürtel, »werde ich Ihnen gerne hinüberhelfen. Auge um Auge .«
    »Du Spottgeburt!«, tobte Goethe und warf die Zu ckerdose nach Santing, dass sie an der Tapete über ihm zerschlug und der Zucker auf ihn herabfiel, »ich schlage dir die Zähne in den Hals, wenn du noch ein Wort sagst!«
    Madame Botta machte eine Geste, den Dichter zu be sänftigen. »Kommen Sie zu sich. Bedenken Sie: Wir hät ten Ihnen das Gift auch in den Kaffee geben können, den Sie soeben getrunken haben. Dass Sie uns verachten, verstehe ich, aber würdigen Sie zumindest unsre Aufrichtigkeit, Sie nicht heimtückisch zu morden.«
    »Ich stehe tief in Ihrer Schuld. In der Tat, ich werde Sie fürs Kreuz der Ehrenlegion vorschlagen. – Und wann soll diese Farce vonstatten gehen?«
    »Sobald Sie sich dafür gewappnet fühlen.«
    »Das wäre dann 1849.«
    Sophie Botta seufzte. »Ihr Verhalten ist noch unerquicklicher als das Ihres seligen Kollegen. Sie wissen, dass Sie gehen werden, also gehen Sie mit der Würde, die Ihrem Titel und Ihrem Alter geziemt. Heute Abend, Herr von Goethe. Nutzen Sie den Tag für Ihre Gebete, und wenn Sie noch Wünsche haben, lassen Sie es uns wissen.«
    »Nur den einen: dass Sie allesamt ärschlings in die Hölle stürzen.«
    Dieselben Begleiter wie in der vorigen Nacht brachten Goethe auch jetzt zurück in das Schlafgemach, das zu seiner Kerkerzelle geworden war, und nun begann der Tragödie zweiter Teil: Kaum war die Tür hinter ihm verriegelt, loderten in seinem Leib die Koliken wieder auf, als hätte er keine anderen Sorgen im Leben. Seine Niere brannte so sehr, dass er sich aufs Bett setzen musste, den Körper über den Bauch gekrümmt, bis der schärfste Schmerz vorüber war. Er trank einen Schluck Wasser aus einer Karaffe, die man ihm mitgegeben hatte. Seine Phantasie gaukelte ihm vor, es schmecke anders als gewöhnliches Wasser. Seine Finger zitterten wie dürre Blätter im Wind. Er ertappte sich bei dem Wunsch, die Französin hätte ihn tatsächlich heimtückisch vergiften mögen, und alles wäre längst vorbei.
    Nun ist die Angst eines Menschen, der weiß, dass er sterben muss , vollkommen andersartig als die Angst dessen, der weiß, dass er sterben könnte . Ein Soldat in der Schlacht, ein Wanderer unter Wölfen, ein Matrose auf hoher See klammert sich mit aller Kraft am Leben fest und lässt keine Aussicht auf Rettung unversucht – und nimmt den Tod dennoch an, wenn er kommt. Dem Todgeweihten aber bleibt keine andere Tätigkeit, als sich auf den Tod vorzubereiten, und er ist dennoch bis zuletzt unfähig, sich mit ihm zu arrangieren. »Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich?«, fragte sich Goethe selbst. »Du hast genug gelebt. Eines jeden Tages hast du dich gefreut. Nun endet das Leben, wie es schon viel früher hätte enden können. Ich höre auf zu leben, aber ich habe gelebt. Sieh dein fernes Leben als reines Geschenk an, und scheue den Tod nicht!« Und er fügte hinzu: »Nur Feige fürchten den Tod!« Aber entweder war er feige oder der Spruch unwahr.
    Rastlos lief er in seiner Stube auf und ab, und weil ihm die Luft abgestanden und staubig erschien, wollte er das Fenster öffnen. Doch zusätzlich zu den Gitterstäben davor waren auch die Fenster verschlossen. Unwillig, seine Kerkermeister um einen Gefallen zu bitten, nahm er kurzerhand einen Stuhl und schlug damit eine der beiden Scheiben ein. Endlich strömte frische Luft in den Raum – freilich aber auch warme Luft, denn der Tag versprach ein außergewöhnlich heißer zu werden –, und bald schon bereute Goethe, das Fenster, das er jetzt nicht mehr schließen konnte, zertrümmert zu haben. Ihm blieb nur, die Gardinen zu schließen, doch schien ihm die Dunkelheit eine noch größere Qual als die Hitze.
    Er trat ans Fenster und blickte hinunter in den umfriedeten Garten des Schlosses; herrlich, frisch und grün. Gab es denn unter allen zwölf Monaten einen , der zum Sterben ungeeigneter war als der Mai? Die Pracht der Blumen und das

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